Christa Pöppelmann > November 1918 > Sonntag, der 1. Dezember 1918
Sonntag, der 1. Dezember 1918
Heinrich Mann glaubt, dass sich Deutschland Glanz früherer Siege selbst verloren hat. „Prahlerei, Herausforderung, Lüge und Selbstbetrug als täglich Brot, Raffgier als einziger Antrieb zu leben: dies war das Kaiserreich, dass wir nun glücklich hinter uns haben.“ Nun hofft er auf einen neuen sittlichen Ernst und ruft zum Engagment für die Republik auf. „Wir wollen, dass unsere Republik, bis jetzt ein Zufallsgeschenk der Niederlage, nun auch Republikaner erhält. Und wir sehen in Republikanern weder Bürgerliche noch Sozialisten, dies sind hinfällige Unterscheidungen, wo es Höheres gilt. Republikaner nennen wir Menschen, denen die Idee über den Nutzen, Mensch über die Macht geht.“
Der rechtsradikale Agitator Eduard Stadtler dagegen richtet in der Lützowstraße in Berlin ein Generalsekretariat zum Studium und zur Bekämpfung des Bolschewismus ein und gründet die Antibolschewistische Liga. Eine ihrer ersten Taten ist, mit Flugblättern und an öffentlichen Litfasssäulen zur Ermordung der Spartakusführer aufzurufen. „Tötet Liebknecht! Dann werdet ihr Frieden, Freiheit und Brot haben.“ Die USPD möchte diese Aufrufe gerne verbieten lassen, doch die SPD ist nicht gewillt, irgendeine Art von Zensur zu beschließen, weshalb die Nachkriegsmonate auch zu einer Phase des hemmungslosen öffentlichen Meinungskriegs werden.
Die nötigen finanziellen Mittel – 5000 Mark – hat Stadtler nach eigenen Angaben von Deutsche-Bank-Chef Paul Manikiewitz erhalten. Vermittelt hat die Zahlung Karl Helfferich. Der Finanzfachmann ist seit 1908 Mitglied im Direktorium der Deutschen Bank, war von 1915 bis 1916 Leiter des Reichsschatzamtes und danach für eineinhalb Jahre Innenamts-Chef und Vizekanzler. Er ist im Laufe des Krieges immer weiter nach rechts gerückt, hat am Aufbau der Ludendorffschen Militärdiktatur und am Friedensvertrag von Brest-Litowsk mitgearbeitet. Stadtler hat er in Moskau kennengelernt und bereits im Oktober mit ihm und anderen einen „Verein für nationale und soziale Solidarität“ gegründet. Dem kurzlebigem Bund gehören wirre völkische Publizisten wie Arthur Moeller van den Bruck an, der den Begriff „Drittes Reich“ populär machte, aber auch Männer, die sich später deutlich distanzierten wie Ernst Troeltsch oder der später höchst angesehene Wirtschaftsprofessor und Berliner Kultursenator Joachim Tiburtius.