Christa Pöppelmann > November 1918 > Montag, der 2. Dezember 1918
Montag, der 2. Dezember 1918
Trotz der schlechten Verkehrsverbindungen treffen in Berlin die ersten Weihnachtsbäume ein und am Nachmittag wird am Tempelhofer Feld der Verkauf eröffnet. „Gewöhnliche Bäume“ kosten vier bis sechs Markt.
Ebenfalls am Nachmittag rückt die Funkerabteilung des Gardekorps in Berlin ein – mit schwarz-weiß-roten Fahnen und alte Kaisermärsche wie „Heil dir im Siegerkranz spielend.“ Eine Entwaffnung durch Berliner Sicherheitsmannschaften verweigern sie „unter Hochrufen unserer Bourgeoissöhnchen“, wie die Rote Fahne schreibt. Die kommunistische Zeitung warnt, das bald andere Gardeformationen in Berlin eintreffen werden, „die stärkste Hoffnung der Konterrevolutionäre“. Arbeiter und proletarische Soldaten werden aufgerufen, einen drohenden Militärputsch in Berlin zu verhindern. Die bereits in Berlin weilenden Vertreter der Garderegimenter erklären am nächsten Tag ihre Loyalität gegenüber der Regierung „Ebert-Haase“.
Von einer Heimkehr können die Angehörigen der Armee Mackensen nur träumen. Sie haben im Winter 1916/1917 Rumänien erobert, befinden sich immer noch dort und bangen seit Wochen, ob ihnen der Durchzug durch Ungarn erlaubt wird oder ob sie als Kriegsgefangene interniert werden.
Derweil werden die deutschen Kriegsgefangenen nach und nach in ihre Heimatländer gebracht. Die Ententemächte protestierten, dass dies zu langsam gehe und die Gefangenen unangemessen behandelt werden. Deutschland kontert, dass man nun mal nicht ausreichend Lebensmittel und Transportmittel habe. Englische Zivilsgefangene, die in Ruhleben interniert waren, machen sich einen Spaß, im Hafen von Saßnitz vor ihrer Abfahrt Lebensmitel und getragene Kleidungsstücke über Bord zu werfen und zuzusehen, wie sich die Erwachsene und Kinder darum balgen.
Im einstigen deutschen Hauptquartier in Spa feilschen unterdes die deutsche und die alliierte Waffenstillstandskommission beständig um die Umsetzung der Vereinbarungen. Dem niederländischen Kriegsreporter Max Blokzijl (damals noch ein Freigeist, später überzeugter Nationalsozialist und deswegen in den Niederlanden hingerichtet) gelingt es, dabei zu sein: „Der französische General Rudant leitet die Sitzung, ein echter Soldat. Alle seine Bewegungen sind kurz und von brüsker Unfreundlichkeit. Er kommt mit dem Käppi auf dem Kopf gerein, wirft es mit einer plötzlichen Bewegung in eine Ecke, zieht den Stuhl kurz zu sich heran und beginnt sofort … zu lesen. Rechts neben ihm sitzt der Engländer General Haking, und daneben der amerikanische General Rhodes, links der belgische Vertreter, General Delobbe, und weiter nach beiden Seiten Staabsoffiziere und Adjutanten. Hinter ihnen stehen die Dolmetscher und Sekretäre. Jeder Satz wird sofort in drei Sprachen protokolliert. Deutsch, französisch und englisch sind die zur Konferenz zugelassenen Sprachen. Jeder Vertreter spricht in seiner Muttersprache. … Gerade gegenüber dem General Rudant sitzt General v. Winterfeldt … Der Ton ist kühl oder korrekt …Die Herren hören nicht zu, sie langweilen sich, und diese allgemeine Langeweile äußerst sich in der gleichen Weise wie auf der Schulbank. Die unterhandelnden Generale und Stabsoffiziere der Entente zeichnen Karrikaturen Winterfeldts, und lassen diese als Erinnrung für die Deutschen zurück. Man gewinnt den Eindruck, dass die Herren der Entente nach Spa gekommen sind, ohne das geringste Interesse für das Volk, mit dem sie zu verhandeln haben. General Rudant hat seine Instruktionen von Foch bekommen und hält daran fest.“
Die neuerlichen Proteste der Deutschen in Sachen Waffenstillstand richten sich dagegen, dass die Franzosen nicht nur Elsass-Lothringen, sondern auch das Saarland vom übrigen Deutschland abgeriegelt haben, und dass in der Pfalz Kolonialtruppen stationiert werden. Selbst liberale Zeitungen wie das Berliner Tageblatt sehen die Stationierung schwarzer Soldaten als „Hohn auf das Gefühl der Gemeinschaft der weißen Rasse“ und berichten von der angeblichen Vergewaltigung zahlreicher Frauen durch die afrikanischen Truppen. Viele Historiker gehen allerdings auch davon aus, dass die französische Heeresleitung ihre nordafrikanischen und schwarzen Einheiten bewusst missbraucht hat, um den einstigen Kriegsgegner durch sie zu demütigen. In den nächsten Wochen, bei der Besetzung des Rheinlands gemäß Waffenstillstand, glaubt das Tageblatt dann ein deutlich verändertes Verhalten der französischen Besatzer ausgemacht zu haben. Der Ton sei freundich, man schicke die am besten diszipliniertesten Regimenter, erinnere an die innigen Beziehungen aus der Goethezeit und sei ganz offensichtlich bemüht, gute Beziehungen zur Bevölkerung herzustellen.
In Bayern sind den Angriffen von Ministerpräsidenten Eisner gegen die Regierung in Berlin heftige Auseinandersetzungen mit dem bayerischen SPD-Chef und Innenminister Erhard Auer gefolgt. Doch nun raufen sich die streitenden Parteien wieder zusammen. In einer gemeinsamen Erklärung bekennt die bayerische Regeirung sich zur Demokratie und verspricht, die [bayerische] Nationalversammlung so rasch als möglich einzuberufen, will aber auch die Rätestruktur weiterentwickeln. Relativ breiten Raum nimmt der Föderalismus ein. Die Regierung „wird die Selbstentwicklung Bayerns auf alle Weise fördern und die Interessen des Landes gegen alle Zentralisisierungsversuche ebenso fest wahrnehmen, wie den Loslösungsbestrebungen vom Reiche entgegentreten.“ Die Ententemächte werden aufgerufen, den Gerüchten entgegenzutreten, sie würden beabsichtigen, Deutschland aufzulösen, noch weiteres Gebiet zu besetzen oder die Feindseligkeiten wieder aufzunehmen. Außerdem sollen sie in den besetzten Gebieten die Räte wiedereinsetzen, „die wohl nur in der missverständlichen Annahme aufgelöst worden sind, dass sie terroristische Körperschaften seien, während sie wahrhaft demokratische Organisationen der öffentlichen Kontrolle und Mitarbeit sind.“ Um künftig Frieden zu haben, werden alle Nationen aufgefordert ihre stehenden Heere und die allgemeine Wehrpflicht abschaffen.