Christa Pöppelmann > November 1918 > Montag, der 29. Dezember 1919
Montag, der 29. Dezember 1919
Gegen Oberleutnant a. D. Hans Hiller beginnt vor einem Militärgericht die Verhandlung wegen des Vorwurfes den Soldaten Karl Helmhake zu Tode gemartert zu haben. Außerdem sollen noch zwei andere Soldaten nach Strafmaßnahmen Hillers gestorben sein.
Zahlreiche andere Anklagen wegen vorsätzlicher Misshandlung von Soldaten, bis dahin, dass er Soldaten im feindlichen Schussfeld an Bäume binden ließ, wurde er freigesprochen. Denn ein Erlass der Regierung vom 7. Dezember 1918 gewährt Anmestie für alle Straftaten während des Krieges, die nicht von einer Gefängnisstrafe von mindestens 5 Jahren bedroht sind.
Am Ende der zweitägigen Beweisaufnahme und den Aussagen mehrerer Soldaten wird zwar konstatiert, dass der Angeklagte eine Neigung zu Gewalttägigkeiten habe, vorsätzliche Schädigung sei aber nicht erwiesen. Hiller wird am Ende im Fall Helmhake freigesprochen und nur wegen Misshandlung Untergebener in zwei anderen Fällen zu sieben Wochen Festungshaft verurteilt.
Tageblatt-Redakteur Ernst Feder nennt den Freispruch Hillers eine Verurteilung des Systems. Die ganze „Architektur“ des Verfahrens sei zugunsten der Entlastungszeugen im Offiziersrang, die jedoch über die konkreten Fälle gar nichts aussagen konnten, und zu Ungunsten der Belastungszeugen aufgebaut gewesen. Diese seien zu Einzelheiten befragt worden, hätten nicht wirklich aussagen dürfen und dann seien ihre – für alle anderen im Gerichtssaal absolut glaubwürdigen Aussagen – unter fadenscheinigen Begründungen abgewertet worden. Weitere Zeugen seien – unter ebenso fadenscheinigen Begründungen – gar nicht zugelassen worden.
Der Vorwärts schreibt: „Die Soldatenschinder waren die schlimmste Pest der Armee, deren Moral sie untergruben, deren Disziplin sie zerrütteten. …Es muss offen angesprochen werden, dass die Tätigkeit der Militärgerichte geeignet ist, den inneren Frieden zu stören und im Auslande die Vorstellung zu stärken, dass der brutale, unmenschliche Geist des deutschen Militarismus in Deutschland noch immer lebendig sei. Es ist höchste Zeit, dass die Militärgerichte verschwinden.“
Selbst die rechte Deutsche Tageszeitung meint, dass Hiller sich ohne Frage bedenklicher Übergriffe schuldig gemacht habe und es dem allgemeinen Empfinden mehr entsprochen hätte, wenn das Strafmaß dem Antrag der Anklage – ein Jahr Festungshaft – entsprochen hätte. Die Militärgerichtsbarkeit jedoch wird von rechter und konservativer Seite energisch verteidigt.
Auch ehemalige Soldaten und sogar Offiziere melden sich zu Wort und erklären die Verhandlung für eine Farce. In mindestens 90 Prozent aller Fälle seien die Bestrafungen der Soldaten durch Offiziere brutale Sinnlosigkeit gewesen und wer von seinem Beschwerderecht hätte Gebrauch machen wollen, hätte weit schlimmere Behandlung oder sogar eine Anklage vor dem Kriegsgericht riskiert. „Gott gebe, dass dies für immer der Geschichte angehörte und nie wiederkehre“, schreibt ein Garde-Leutnant an das Berliner Tageblatt.