Christa Pöppelmann > November 1918 > Samstag, der 6. März 1920
Samstag, der 6. März 1920
Im Hotel Adlon in Berlin spielt sich in der Nacht eine Szene ab, die direkt aus Heinrich Manns Roman „Der Untertan“ hätte stammen können. Allabendlich spielt die Kapelle gegen dreiviertel elf „Deutschland, Deutschland über alles“. Die deutschen Gäste pflegen dazu aufzustehen, die ausländischen nicht. An diesem Abend aber ist Joachim Albrecht Prinz von Preußen anwesend und hat mit einem ehemaligen russischen Diplomaten und dessen Gattin schon einige Flaschen Wein geleert, als das Lied gespielt wird. Der Prinz fordert die anwesenden Mitglieder der französischen Militärmission in Berlin barsch zum Aufstehen auf. Ein Rittmeister von Platen und seine Gesellschaft am Nebentisch schließen sich an und skandieren „Aufstehen, sonst raus!“ Als die Franzosen sitzen bleiben, beginnt Joachim Albrecht sie erst mit Blumen von seinem Tisch zu bewerfen. Von irgendwoher kommt ein Glas Richtung der Franzosen geflogen. Ein Graf Metternich mischt sich ein, weist den Prinzen darauf hin, dass die Franzosen laut ihrem Reglement gar nicht aufstehen dürfen. Prinz Joachim Albrecht jedoch schleudert selbst ein Glas, das fast die Frau des französischen Offiziers Klein trifft und schreit: „Hinaus mit den Schweinen! Schlagt die Hunde tot, wenn sie nicht hinaus wollen!“ Madame Klein flieht durch das Fenster. Metternich herrscht den Prinzen an, er solle sich schämen, er und seine Familie seien das Unglück Deutschlands gewesen. Um den Tisch der Franzosen herum kommt es zur allgemeinen Schlägerei. Die Bediensteten, auch Hotelbesitzer Adlon und sein Sohn gehen dazwischen und ziehen den halb ohnmächtigen französischen Kapitän Rougevin aus dem Getümmel in einem Vorraum, wo er zusammenbricht. Die anderen beiden Franzosen können unter dem Schutz der Kellner mit Schnittwunden und zerrissener Kleidung aus dem Saal fliehen. Dort gratuliert Prinz Joachim Albrecht Rittmeister von Platen zum Sieg. Draußen zieht ein Prinz Hohenlohe seinen Schuh aus und schlägt ihn dem am Boden liegenden Kapitän Rougevin ins Gesicht. Mehrere der deutschen Gäste jedoch sagen dem Prinzen deutlich ihre Meinung.
Als Joachim Albrecht am nächsten Mittag wieder ins Adlon kommt, um zu speisen, weigern die Kellern sich, ihn zu bedienen. Der Prinz jedoch behauptet, er wäre an dem ganzen Vorfall völlig unbeteiligt gewesen, hätte ihn von seinem Tisch aus gar nicht richtig mitbekommen. Augenzeugen sagen jedoch später aus, der habe der Kapelle sogar Geld gegeben, damit sie das Deutschlandlied spiele, und auch zuvor schon gegen ausländische Gäste gepöbelt und vor ihnen ausgespuckt. Auch wird bekannt, dass der Betriebsrat des Hotels die Leitung schon im Vorfeld gebeten habe, dass keine nationalen Hymnen gespielt würden, da dies Zusammenstoße zwischen internationlen und deutschnationalistischen Gästen provozieren könne. Reichswehrminister Noske lässt sowohl Joachim Albrecht wie Rittmeister Platen in Schutzhaft nehmen.
Ein ähnlicher Zwischenfall ereignet sich zwei Tage später in Bremen. Auch hier werden französische Offiziere, die in einem Hotel zum Deutschlandlied (das nicht offizielle deutsche Nationalhymne ist) nicht aufgestanden sind, misshandelt. Allerdings ohne Beteiligung eines Hohenzollernprinzen.