Christa Pöppelmann > November 1918 > Dienstag, der 7. Oktober 1919
Dienstag, der 7. Oktober 1919
Im Berliner Reichstag beginnt die große Haushaltsdebatte der Nationalversammlung mit Generalaussprache. Bruno Stümke (später Theodor Wolffs Stellvertreter) äußert im Berliner Tageblatt, dass die Zeit reif sei für eine gründliche Aussprache über das Große Ganze. Bislang hätten alle Regierungen seit dem 9. November noch nicht wirklich politisch tätig sein können. Sie hätten stattdessen aus dem Trümmerhaufen, der ihnen hinterlassen worden sei, erst einmal ein Staatsgebilde schaffen und auf äußerst schmalem Grat den Widerständen von rechts und links begegnen und nach außen um Stellung und Anerkennung ringen müssen.
Die programmatische Rede von Reichskanzler Gustav Bauer nennt das Berliner Tageblatt „anständig in der Gesinnung“, aber „zumeist trocken“. Der Kanzler skizziert das schon bekannte Regierungsprogramm und versucht, vorsichtigen Optimismus zu verbreiten.
Nachdem er die innenpolitischen Themen abgehandelt hat, wehrt sich Bauer scharf gegen den Vorwurf aus dem Ausland, Deutschland halte am Militarimus fest und versuche die Auflagen des Versailler Friedensvertrages zu umgehen. Es sei nicht Deutschlands Schuld, dass sich die Umsetzung des Friedensvertrages verzögere, weil in den Parlamenten der Alliierten über die Ratifikation des Vertrages gestritten werde. Derzeit habe man noch Truppen an den östlichen Grenzen stehen, um eine Vorwegnahme von Entscheidungen in den Abstimmungsgebieten zu verhindern. Er erkläre aber mit aller Deutlichkeit und allem Nachruck: „Zwei Monate nach der Ratifizierung soll das deutsche Heer nur noch 200.000 Mann betragen; also wird es nur noch 200.000 Mann betragen nicht einen mehr.“ Das Einschmuggeln überzähliger Kräfte sei militärisch sinnlos, politisch dagegen verheerend. Dass es Soldaten gäbe, die noch dem alten Geist nachhingen, sei so schnell nicht zu ändern. Man werde auch keine Gesinnungsschnüffelei betreiben. Wer seine Pflicht tue und seine Stellung nicht parteipolitisch missbrauche, sei willkommen. Was das Problem im Baltikum angehe, so habe die Regierung energische Maßnahmen gegem von der Goltz eingeleitet und die den Alliierten auch mitgeteilt. „Heraus wollen wir mit allen Mitteln, selbst um den Preis der Aufopferung von Kriegsgerät und ähnlichem, heraus aus einem Lande, wo wir nichts zu suchen haben.“ Dass die Alliierten drei Tage später mit einem Ultimatum androhte, den „Blockadekrieg gegen unsere Frauen und Kinder aufs neue zu eröffnen“, wenn von der Goltz nicht sofort zum Rückzug gebracht werde, prangert Bauer als unmenschlich an. Zum Schluss verurteilt Bauer dann noch scharf alle revanchistischen Töne der Deutschnationalen und bezeichnet sie als Feinde des deutschen Volkes.
Bauers Vorgänger Philipp Scheidemann ruft als Gegner der Unterzeichnung des Friedensvertrages zu dessen Erfüllung auf. Streit darüber sei nun müßig geworden, „denn die Unterzeichnung ist ein weltgeschichtliches Geschehen und gegen die Weltgeschichte polemisiert man nicht. Jetzt müssen wir den Weg nach aufwärts finden.“ Er appelliert an alle, wenigstens „Vernunftrepublikaner“ zu sein, wenn sie „von der Vernunft nicht überhaupt verlassen“ sind. Vor allem müsse die Selbstzerfleischung der Arbeiterklasse beendet werden. Man habe sich zwar gegenseitig viel vorzuwerfen, doch der Feind stehe rechts. Es gehe auch nicht um Änderungen des Friedensvertrages, sondern um eine komplett neue Politik: „Der Krieg ist so grauenhaft geworden, dass er kein berechtigtes Mittel der Politik mehr ist. Der Krieg ersetzt auch dem Sieger nicht mehr, was er kostet. … Der ewige, unzerstörbare Siegfriede ist die allergrößte Utopie. … Erst, wenn alle haben, worauf keiner verzichten kann, ist der wirkliche Friede da, der Friede des gleichen Rechts für alle Völker.“