Christa Pöppelmann > November 1918 > Freitag, der 10. Januar 1919
Freitag, der 10. Januar 1919
In Berlin wird den ganzen Tag über über eine friedliche Beilegung der Krise verhandelt. Eine von den Regierungsmitgliedern sowie Robert Leinert und Hermann Müller vom Zentralrat abgegebene Erklärung behauptet im Nachhinein, als auch am Abend kein Ergebnis erzielt worden sei, habe man nicht mehr anders gekonnt, als der Gewalt Gewalt entgegenzusetzen. Man habe auch deshalb nicht länger warten können, weil es nur noch acht Tage bis zu den Wahlen seien und für den Wahlkampf unbedingt Pressefreiheit herrschen müsse.
Tatsächlich aber greifen die Brigade Reinhard und Soldaten vom 5. Garderegiment an diesem Tag schon das spartakistische Hauptquartier im Rathaus Spandau an und erobern das Gebäude zurück. Dabei gibt es mindestens zwei Tote. Vier Gefangene werden eine Woche später, in der Nacht vom 16. zum 17. Januar, im Tegeler Forst erschossen. Angeblich weil sie bei ihrer Überführung ins Gefängnis Tegel hatten fliehen wollen. Andere Gefangene aber, die in einem zweiten Auto transportiert wurden, erzählten hinterher, dass die Schüsse im fahrenden Wagen gefallen seien.
Der berüchtigte antikommunistische Aktivist Eduard Stadtler aber nutzt die Gelegenheit, um im Haus des Flugverbands am Schöneberger Ufer mal wieder seinen Vortrag über den „Bolschewismus als Weltgefahr“ zu halten, wie schon zuvor organisiert von Deutsche-Bank-Chef Paul Mankiewitz. Die Zuhörerschaft ist diesmal klein und exklusiv. Mankiewitz hatte 50 Spitzen von Industrie und Wirtschaft ausdrücklich zum persönlichem Kommen aufgefordert, u. a. Stinnes, Borsig, Siemens. Glaubt man dem, was Stadtler selber später erzählte, dann ergriff nach dem Vortrag Hugo Stinnes das Wort und erklärte, er halte jede weitere Diskussion für überflüssig, Stadtler habe in jedem Punkt recht und deshalb schlage er vor, dass die deutsche Wirtschaft 500 Millionen Mark zur Abwehr des Bolschewismus bereit stelle. Diese Summe sei dann tatsächlich bewilligt worden, 50 Millionen über einen Bankkredit sofort. Historiker halten die 500 Millionen für eine Übertreibung des geltungsbedürftigen Stadtlers, aber dass es einen millionenschweren, von der deutschen Wirtschaft finanzierten Antibolschewistenfonds gab, aus Bürgerwehren, Freikorps und alle möglichen antibolschewistischen Gruppierungen, möglicherweise auch die NSDAP, unterstützt wurden, gilt als sicher. Allerdings wandten sich einige der ursprünglichen Geldgeber bereits nach kurzer Zeit von dem Projekt ab, weil ihnen Stadtler zunehmend suspekt wurde.
In München werden am Vormittag nahezu alle führenden Kommunisten verhaftet, darunter Eugen Leviné, Erich Mühsam und Hilde Kramer. Nachmittags finden sich dann Tausende von Demonstranten auf der Theresienwiese ein und ziehen zum Montgelas-Palais, wo Ministerpräsident Eisner residiert. Dort fordern sie lautstark die Freilassung der Gefangenen. Einem Demonstranten gelingt es sogar, über den Balkon in das Palais zu gelangen. Wenig später verkündet Eisner: „Sie sind enthaftet.“ Am Abend sprechen Mühsam und Leviné im Mathäserbräu am Bahnhof. Draußen kommt es im Laufe des Abends zu mehreren Schießereien bei denen sechs Leute getötet werden.
In Bremen rufen KPD und USPD am Nachmittag eine sozialistische Räterepublik aus. Das Ganze hat mit den Vorgängen in Berlin nur indirekt zu tun. Vorausgegangen waren schwere Konflikte zwischen der traditionell sehr linken Arbeiterschaft und dem Rest der Bremer Bevölkerung. Bei einer Wahl zum Arbeiter- und Soldatenrat am 6. Januar 1919 hatten die Kommunisten die SPD ursprünglich ausschließen wollen, diese dann aber doch auf Betreiben der USPD zugelassen. Die SPD konterte, indem sie Bremer Bürger zum Masseneintritt in die Partei bewog und die Wahlen dann deutlich gewann, was die anderen beiden linken Parteien wiederum zum Umsturz veranlasste. Der neu eingesetzte paritätisch aus drei USPD- und drei KPD-Mitgliedern besetzte Rat der Volkskommissare verhängt das Standrecht über Bremen, verbietet Offizieren und Bürgern das Waffenstragen und erlässt eine Zensur für die nichtrevolutionäre Presse.
Auch in Düsseldorf übernimmt der Vollzugsausschuss des Arbeiterrates, bestehend aus Vertretern der KPD und USPD, die Macht.