Freitag, der 21. Februar 1919

In München begibt sich bei fast schon frühlingshaft sonnigem Wetter Ministerpräsident Kurt Eisner zum Landtag, um dort den Rücktritt seines Kabinetts bekannt zu geben. Da feuert ihm ein 22jähriger Infanterie-Leutnant und Jurstudent, namens Anton Graf Arco auf Valley, aus nächster Nähe zwei Schüsse in den Hinterkopf, die Eisner sofort töten. Der Attentäter wird von Eisners Leibwächtern niedergeschossen und dabei lebensgefährlich verletzt.

„Eisner ist ein Bolschewist, ein Jude, er ist kein Deutscher, er fühlt nicht deutsch, untergräbt jedes vaterländische Denken und Fühlen, ist ein Landesverräter“, hatte Arco vor dem Mord niedergeschrieben. Wie er dachten in Bayern viele vom rechten Rand. Seit er den Freistaat Bayern ausgerufen hatte, erhielt Eisner fast täglich hasserfüllte Drohbriefe und wurde in der Öffentlichkeit geschmäht. Er sei ein ostjüdischer Agent, heiße in Wahrheit Salomon Kosmanowsky und plane Deutschlands Schande. Besonders verübelte man ihm, dass er von der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkriegs überzeugt war. Auch hat man ihm angekreidet, nach seiner Wahlniederlage im Januar, den Rücktritt noch hinausgezögert zu haben, um sozialistische Errungenschaften zu sichern. Thomas Mann berichtet, die Mitschüler seiner Söhne hätten applaudiert, als die Nachricht von Eisners Ermordung bekannt wurde.

Links und in der Mitte dagegen sorgt die Nachricht für Entsetzen. Theodor Wolff, der politisch von Eisner gar nichts hielt, schildert im Berliner Tageblatt wie ihm Eisner bei der letzten Begegnung die bayerische Revolution vom 7. November als eine Art Schalkstreich geschildert hat. „So war Eisner, so war sein Regime. Es ist tieftraurig, dass es nicht so, in Bohèmeheiterkeit, geendet hat und dass schließlich doch Blut, sein Blut geflossen ist.“

 

Im bayerischen Landtag wird die kaum begonnene konstituierdende Sitzung unterbrochen, als die Nachricht eintrifft. Eine Stunde später findet man jedoch wieder zusammen und SPD-Führer Erhard Auer, zu Lebzeiten ein scharfer Gegner Eisners, ergreift das Wort: „Wir beklagen in dem Ermordeten den Führer der Revolution in Bayern und zugleich den vom reinsten Idealismus und von treuer Sorge für das Proletariat erfüllten Menschen. …Angesichts dieser wahnsinnigen Mordtat, gegen deren Urheber mit aller rücksichtslosen Strenge vorgegangen wird, gilt es nunmehr, die Besonnenheit zu bewahren und alle Kräfte zusammenzuschließen, um die ungeheuren Aufgaben der nächsten Zeit so zu lösen, wie es die Interessen des gesamten bayerischen Volkes erfordern.“ Genau das aber funktioniert nicht. Kaum dass Auer geendet hat, dringen drei Mitglieder des Revolutionären Arbeiterrat in den Landtag und fordern „Rache für Eisner“. Ein Schankkellner namens Alois Lindner schießt erst Auer nieder, dann den konservativen Abgeordneten Paul von Jahreiß, der sich ihm in den Weg stellt. Es kommt zu einem wilden Tumult, auch von der Tribüne herunter wird geschossen, ein weiterer Abgeordneter wird tödlich getroffen, die anderen fliehen.

 

Über die Stimmung auf den Straßen Münchens schreibt Oskar Maria Graf: „Ich sah Zitternde, ich sah Wutblasse und Blutgierige. Überall wiederholte sich das gleiche Schreien nach Rache. Die Massen kamen ins Treiben, der Strom floss durch die Stadt. Das war anders, ganz anders als am 7. November. Wenn jetzt einer aufgestanden wäre und hätte gerufen: ‚Schlachtet die Bürger! Zündet die Stadt an! Vernichtet alles!‘ es würde geschehen sein.“

 

Das geschah nicht. Der tote Eisner habe unendlich mehr Anhänger als der lebende, schreibt Victor Klemperer, der sich damals ein Zubrot als Münchner Korrespondent der Leipziger Neuesten Nachrichten verdient, und im Grunde sei es verwunderlich, dass der eine Schuss, der die chaotischen Massen formiert hätte, den ganzen Tag nicht gefallen sei. Doch es sei ruhig geblieben „oder was man in diesen bescheidenen Zeiten so nennt.“ Das heißt, dass die Redaktionen der bürgerlichen Zeitungen  mal wieder gestürmt wurden da man ihnen eine Mitschuld gibt. Außerdem dringen Menschen gewaltsam in das Luxushotel Regina ein und suchen nach Komplizien des Grafen Arco. Heftiger geht es in Augsburg zu, wo die Zeitungsredaktionen verwüstet, viele Geschäfte geplündert, Gefängnisse gestürmt und Waffenlager erobert werden.

 

Aber während Professor Ferdinand Sauerbruch sowohl Auer wie Arco das Leben rettete, wird der vorher so umstrittene und nicht wiedergewählte Eisner auf den Straßen zum Märtyrer gemacht. Gerade auch die Kommunisten, die vorher kein gutes Haar an ihm ließen, schwingen sich zu seinen geistigen Erben auf. Auch die SPD wagt in dieser Situation nicht mehr, in eine Koalitionsregierung mit einer der bürgerlichen Parteien einzutreten. Schließlich einigen sich die Führer von SPD, USPD und Kommunisten auf die erneute Bildung eines Zentralrates, der als erstes einen bereits von der USPD ausgerufenen dreitägigen Generalstreik bestätigt. Außerdem wird über die Stadt der Belagerungszustand verhängt. Am Abend werfen ein halbes Dutzend Flugzeuge Flugblätter ab „die“ – so Victor Klemprerer – „jetzt erst ihren Namen recht verdienten, die sonnenfunkelnd wie Schwärme weißer Tauben aussahen und die herabsinkend, wirklich eine Art Beruhigung brachten: die Aufforderung zur Ruhe, die Ankündigung des Standrechtes, den Befehl, um sieben Uhr die Straßen zu erlassen.“ Trotzdem wird in der Nacht im Stadtzentrum geschossen und geplündert.

 

 

Im Ruhrgebiet dagegen beschließt eine Delegiertenversammlung den Abbruch des Streiks. Bei den Arbeitern löst dies zu großen Teilen maßlose Erbitterung aus.

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