Christa Pöppelmann > November 1918 > Mittwoch, der 17. Dezember 1919
Mittwoch, der 17. Dezember 1919
Trotz aller Proteste wird das Gesetz über das Reichsnotopfer in dritter Lesung angenommen. Auch die mitregierenden Demokraten stimmen zu, obwohl ihr Fraktionsführer im Preußischen Landtag, der Nationalökonom Robert Friedberg Erzbergers Finanzpolitik in Bausch und Bogen verurteilt. Im Reichstag, so Friedberg, sei Erzberger nur ungeschoren davon gekommen, weil „Herr Hugenberg ein politischer Säugling mit so unüberlegten Angriffen gegen ihn kam und dadurch für Ablenkung sorgte.“
Dr. Felix Pinner, der Wirtschaftsexperte des Berliner Tageblattes, wertet es positiv, dass die Regierungskoalition durch die Steuerreform nicht gesprengt wurde. Zentrum und Demokraten hätten geglaubt, den Sozialisten das Notopfer auf den Besitz nicht verweigern zu dürfen, da diese „ihrerseits als Opfergabe auf dem Altar der Koalition die ‚große Umsatzsteuer‘ darzubringen sich entschlossen hat, die als indirekte Steuer vor dem Erfurter Programm eigentlich keine Gnade finden dürfte. Dass das Bündnis der Mehrheitparteien dem Explosivstoff des Reichsnotopfers widerstanden hat, ist zwiefellos ein politischer Erfolg. Es ist aber auch der einzige Trost für diejenigen, die das Reichsnotopfer für eine wirtschaftlich eminent schädliche Lösung der Besitzbesteuerung halten.“
Pinner kritisiert, dass das Notopfer keine Vermögensabgabe mehr sei, da für die Begleichung 30, teils sogar 50 Jahr Frist eingeräumt sind. „Von einer laufenden Vermögensteuer unterscheidet sie sich nur dadurch, dass ihre Jahresraten nicht an den jeweiligen Umfang der Vermögen beweglich angelehnt, sondern dass sie für alle Zukunft an den jetzigen zufälligen und wirtschaftlich unnormalen Stand der Vermögen gebunden werden.“ Tatsächlich wird das Reichsnotopfer ein Flopp. Der Widerstand ist groß, der bürokratische Aufwand, die Vermögen zu taxieren beträchtlich, und Schritt halten mit der immer stärker werdenden Inflation irgendwann unmöglich. Am Ende zahlen vor allem die Besitzer kleiner Vermögen, die ihr „Opfer“ sofort begleichen müssen, während sich die wirklich Reichen durch Kapitalflucht entziehen oder von der Inflation profitieren.
Pinner kritisiert aber auch, dass den Unternehmern mit dem Reichsnotopfer ein Teil seiner Produktionsmittel entzogen werde, durch das eingenommene Geld aber nicht an anderer Stelle – etwa durch den Staat – die Produktivität erhöht werde. „Kamen aber die Regierung und Nationalversammlung zu der Ansicht, dass eine solche wirkliche Vermögensabgabe, die das Kapital nicht getötet, sondern erhalten und nur anders verteilt hätte, zurzeit undurchführbar war, so hätten sie die Fiktion der Vermögensabgabe überhaupt aufgeben und die unbestritten notwendige Heranziehung des Besitzes nach anderen für die Privatwirtschaft weniger schädlichen Gesichtspunkten bewerkstelligen müssen. Es ist kein Zeichen einer staatsmännischen, das Volk führenden Politik, wenn man aus der Furcht vor der Stimmung oder der Missstimmung der Massen den kategorischen Imperativ zum Schlagwort verdorren lässt.“