Christa Pöppelmann > November 1918 > Montag, der 5. April 1920
Montag, der 5. April 1920
Die Franzosen protestieren scharf gegen den Einmarsch der Reichswehr in das Ruhrgebiet. Denn der größte Teil davon liegt in der Neutralen Zone, die vom Rhein bis knapp vor Dortmund und Hagen reicht. Der französische Ministerpräsident Alexandre Millerand sieht darin einen Verstoß gegen Artikel 42 und 43 des Versailler Vertrages und damit den „Versuch einer Störung des Weltfriedens“ und droht, wenn sich die deutschen Truppen nicht augenblicklich zurückziehen, das Gebiet um Frankfurt, Hanau und Darmstadt zu besetzen. Die deutsche Seite argumentiert, dass es sich nur um eine begrenzte Polizeiaktion von schätzungsweise sieben Tage handele und trotz des Einmarsches weniger Soldaten in der Neutralen Zone seien als die 17.500 Mann, die der Vertrag gestatte.
Theodor Wolff schreibt im Berliner Tageblatt: „Aber wenn Herr Millerand als besonders schlimme Vertragsverletzung abermals die unzureichende Kohlenlieferung erwähnt und gleichzeitig uns hindern will, die Kohlengruben gegen zerstörungswütige Haufen zu sicher – wer kann das verstehen? Kohlen können nicht gefördert und verladen werden, wenn im Ruhrgebiet die anarchistische Rottenherrschaft tobt. Und wenn der Herr Millerand zornig darauf hinweist, dass Waffen und Kriegsmaterial noch nicht abgeliefert worden seien und gleichzeitig eine Aktion verbietet, durch die allein die Entwaffnung herbeigeführt, ein gewaltiger Waffenvorrat aus dem Versteck herausgeholt werden könnte – wer in der Welt sähe darin nicht eine merkwürdige Unlogik, einen seltsamen Widerspruch? Die französischen Berichterstatter, die sich im Ruhrgebiete befinden, erzählen, dass die Rote Armee moderne Geschütze habe und dass eine solche geheime Anhäufung von Kriegswaffen eines Tages den Frieden Europas in Gefahr bringen müsste, und wir sind selber einigermaßen erstaunt über die Unerschöpflichkeit dieser verborgenen Arsenale, wünschen dringend, endlich die unrechtmäßig verwahrten Mordinstrumente des roten und des reaktionären Aufruhrs aus dem Lande hinausbefördert zu sehen und wundern un nur auch darüber, dass Herr Millerand uns dabei nicht helfen will.“ Wolff vermutet, dass sich Millerand vor allem in der Heimat als starker Mann generieren will. Die Warnungen der französischen Presse, Deutschland sei militaristischer denn je und der deutsche Generalstab bereite sich durch die Unternehmen im Ruhrgebiet auf große Dinge vor, tut er als lächerliche Hirngespinste ab.
Unterdessen hat die Reichswehr den Norden rund um Duisburg und Oberhausen besetzt. Die Rote Ruhrarmee beginnt sich bereits aufzulösen, bzw. in die britisch besetzte Zone zurückzuziehen. Paul Michaelis, der sich als Sonderberichterstatter des Berliner Tageblatts in Wesel aufhält, warnt jedoch, das ab jetzt um Straßen und Häuser gekämpft werden müsse. Trotzdem ist er überzeugt, dass die Aufständischen dem massiven Reichswehraufgebot nicht gewachsen sind. An der Entwaffnung der Roten Ruhrarmee führe kein Weg vorbei, meint er, doch müsse die Regierung künftig auch ihre Truppen besser unter Kontrolle behalten. Schließlich sei der Aufstand im Ruhrgebiet nun mal am Kapp-Putsch entbrannt und es nicht nur von den sozialistischen Parteien, sondern auch Demokraten und Zentrumsanhänger freie Volkswehren aufgestellt worden, um sympathisierende Reichwehreinheiten zu verjagen, „in der besten Absicht, die Verfassung zu schützen und Ruhe und Ordnung wieder aufrecht zu erhalten. Leider folgte nur zu bald auf den weißen der rote Schrecken. Trotz aller Mäßigungsversuche nicht bloß der Mehrheitsozialisten, sondern vielfach auch der unabhängigen Führer gewannen die Vertreter des schärfsten Radikalismus in zahlreichen Orten des eigentlichen Industriegebiets die Oberhand. … Wie die sozialistischen Arbeiter selbst zugeben, sind es vielfach übelbeleumdete Agitatoren der schärfsten Tonart. Sie fanden Zulauf von unreifen Burschen und großstädtischem Gesindel, das bis an die Zähne bewaffnet wurde. … Die Entrüstung über dieses schamlose Treiben ist allgemein. So lehnten die Beamten der Post und Bahn jede Teilnahme ab, traten in einen Abwehrstreik ein und brachten ihre Betriebe zum Stillstand. Aber auch die beiden sozialistischen Parteien protestierten beispielsweise in Duisburg, einem Hauptherd des roten Terrors, öffentlich gegen die ‚organisierten Verbrecherbanden‘.“ Doch aus der „Polizeiaktion“ der Regierung ist längst schon wieder weißer Terror geworden. Zu diesem Zeitpunkt sind etwa 1000 Aufständische umgekommen, darunter viele nach der Gefangennahme gelyncht bzw. standrechtlich erschossen worden. Die Reichswehr hat 208 Gefallene und 123 Vermisste, die preußische Sicherheitspolizei 41 Tote. Die französische Presse malt das ganze noch schwärzer aus und berichtet u. a. von Giftgasangriffen auf Zivilisten.
In Dänemark wird die sogenannte Osterkrise beigelegt. König Christian X. hatte nicht akzeptieren wollen, dass der zweite Teil der Volksabstimmung in Schleswig eine Mehrheit für Deutschland ergeben hatte. Er befahl seinem liberalen Regierungschef Carl Theodor Zahle, trotz allem die Angliederung dieses Gebiets an Dänemark voranzutreiben. Als der sich weigerte, forderte der König ihn – unterstützt von rechten Kräften – erst zum Rücktritt auf und entließ schließlich das ganze Kabinett am 29. März ohne formelles Misstrauensvotum. Statt seiner machte er den konservativen Juristen Otto Liebe zum neuen Regierungschef. Das löste heftige Proteste der Linken und Liberalen aus. Sie drohten den Verfassungsbruch des Königs mit einem Generalstreik und einem Sturz der Monarchie zu beantworten. Am Ostersonntag gab Christian nach. „Den Bankrotteuren des alldeutschen Nationalismus, die in den Tagen ihrer Glorie so gern fremde Völker unter ihre edle Herrschaft bringen wollten“, schreibt Theodor Wolff im Berliner Tageblatt, „und denjenigen Franzosen, die nur auf immer neue Gewalttat sinnen, gibt heute das dänische Volk eine Lektion. Dort hat die Vernunft ein Haus, und nur einen Augenblick hatte die Unvernunft dort einen Thron. Wir dürfen nicht glauben, dass uns die Dänen jene Bruderliebe widmen, die eher jedes Opfer bringen als den brüderlichen Seelenfreund benachteiligen will. Wenn sie es ablehnen, sich deutsches Land mit einer widerständigen deutschen Bevölkerung aufdrängen zu lassen, so zeigt das nur wieder, das sie die echte demokratische Betrachtungsweise haben, und dass die in dem Wahnsinn dieser Zeit gesund geblieben sind. Dass gerade ist das Schöne und Vorbildliche an ihrem Verhalten, dass keine sentimentale Wirkchlichkeit, keine verschwommene Ideologie es lenkt. Sie sind nicht unpolitische Pazifisten, die ihre Traumschlösser hoch über dem Boden der Wirklichkeit in den Wolken bauen, sondern praktische Menschen, die im Sinne des Pazifismus verfahren, weil sie in einer Politik der Mäßigung und der Gerechtigkeit die wahre Bürgschaft für die Sicherung des Erreichten sehen. Sie wollen keinen fremden Pfahl im Fleische, keine tief verletzten, unversöhnlichen Nachbarn, keinen Profit, der schlaflose Nächte schafft.“
Die dänischen Neuwahlen brachten einen deutlichen Sieg für die Liberalen vor den Sozialdemokraten. König Christian aber fügte sich in seine Rolle als reines Staatsoberhaupt. Im Zweiten Weltkrieg wurde er wurde er zum Symbol des Widerstands der Dänen gegen die deutsche Besetzung und ermöglichte die Rettung der dänischen Juden.