Christa Pöppelmann > November 1918 > Samstag, der 21. Februar 1920
Samstag, der 21. Februar 1920
In Berlin steht der Erzberger-Attentäter Oltwig von Hirschfeld vor Gericht. Sein Anwalt fordert, in Rechnung zu stellen, „dass der Reichsfinanzminister Erzberger, wie aus dem Helfferich-Prozess hervorgehe, wirklich eine Schädigung für das deutsche Volk sei.“ Der vorsitzende Richter lehnt jedoch sowohl seinen Antrag ab, Zeugen aus dem Helfferich-Prozess zu laden, noch den aus der Broschüre „Fort mit Erzberger“ vorzulesen. Im Schlussplädoyer fordert er einen Freispruch seines Mandanten. „Man müsse unterschieden zwischen fluchwürdigen und nichtfluchwürdigen Attentaten. Immer habe es Attentate gegeben, deren Vollbringer verherrlicht worden sind. Es sei nicht richtig, alles in einen Topf zu werfen. Die Männer, die jetzt an der Spitze der Regierung ständen, seien ja auch auf Grund einer Umwälzung, also durch Gewalt, zur Macht gelangt. Da könne man sich nicht wundern, dass die Anhänger des alten Regimes sich damit nicht befreunden könnten. Was die Tat selber beträfe, so habe sie der Angeklagte aus rein idealen Motiven ausgeführt.“ Die Geschworenen sehen dann keinen Mordversuch vorliegen, sondern nur Körperverletzung und machen auch mildernde Umstände geltend, so dass das Urteil am Ende eineinhalb Jahre Gefängnis lautet.
Das Berliner Tageblatt kommentiert sarkastisch. „Das Gericht hat als ‚strafverschärfend‘ betont, dass politische Attentate ‚aufs schärfste zu verurteilen seien. Wenn solche ‚verschärfenden Erwägungen nicht in Betracht gekommen wären – wie hätte die Strafe dann eigentlich ausgesehen? Dann hätte man dem Angeklagten vielleicht die Rettungsmedaille verliehen. … Oltwig v. Hirschfeld hat sich in jedem zweiten Satze auf Herrn Helfferich berufen und ihn gewissermaßen als geistigen Urheber der Tat hingestellt. … Die ‚erfahrenen Politiker und reifen Menschen‘, als deren Werkzeug er sich nach seinem eigenen Geständnis betrachtet, sind, neben Herrn Hellferich, die deutschnationalen Journalisten, die so entrüstet waren, als man ihre Schuld an dem Attentat des verwirrten Jünglings unterstrich. Sie werden mit Genugtuung konstatieren, dass ihr ‚Werkzeug‘ sich mit kurzer Gefängnisstrafe aus der Affäre zieht. Bei anderen Leuten dürfte die Genugtuung geringer sein. … Wenn der Preis für ein politisches Attentat auf ein Jahr sechs Monate Gefängnis bemessen wird, dann werden wir wohl noch allerlei sehen.“