Montag, der 7. Oktober 1918

Am Vormittag wird in Washington durch den Schweizer Gesandten das deutsche Friedensgesuch übergeben. In Berlin machen bereits Gerüchte die Runde, es sei abgelehnt worden, in anderen Städten tauchen Anschläge über eine Zustimmung auf, die jedoch schnell wieder verschwinden. Fakt ist: Der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau hat durch die Nachrichtenagentur Agence Havas bereits verkünden lassen, dass die Antwort auf die deutsche Friedensoffensive nur eine glatte Ablehnung sein könne. Es dürfe keinen Waffenstillstand ohne eine vorherige vollständige Kapitulation geben. Auch aus England und Italien ist zu verlauten, dass ein Eingehen auf das Friedensgesuch erst vorstellbar wäre, wenn Deutschland Frankreich und Belgien geräumt und militärische Sicherheiten gegeben habe. Theodor Wolff hofft, dass nicht auch der amerikanische Präsident angesichts der militärischen Lage „durch die Sonne des Erfolgs geblendet“ werde. Irgendein Freund und Kenner Europas – „der ehemalige Botschafter Morgenthau oder ein anderer“ – müsse Wilson gut zureden und klar machen, dass er mit einem Eingehen auf das deutsche Friedensgesuch alles erreichen könne, was er sich erträume. Strebe er aber einen Frieden durch die vollständige Niederlage der deutschen Seite an „wie die berauschten Strategen der Redaktionsstuben es ausmalen“, dann hätte Wilson für die Nationalisten in Frankreich und England gesiegt, die seinen Gedanken vom Völkerbund und seine philosophischen Forderungen seit jeher verspottet hätten. „Es ist klar, dass in den Ländern, die mit dir verbündet sind, nicht die Pazifisten von gestern und von morgen, nicht die Gemäßigten, nicht die Freunde des Fortschritts und der Völkerverständigung die Macht in Händen haben würden, sondern die Hasser, die Helden eines engstirnigen, verbohrten Patriotismus.“

Henry Morgenthau (senior), ehemaliger US-Botschafter im Osmanischen Reich (und Berichterstatter über den Völkermord an den Armeniern), antwortet am 11. Oktober tatsächlich und erklärt, für einen solchen Frieden müsse unbedingt das deutsche Kaiserhaus abdanken. Das Telegramm erreicht Wolff allerdings erst Ende November, als die Herrschaft der Hohenzollern schon Geschichte ist.

 

Peinlich für die neue Regierung ist, dass der britischen Agentur Reuters ein gestohlener Privatbrief des neuen deutschen Kanzlers Max von Baden vom Januar 1918 zugespielt wird, in dem der sich gegen eine Parlamentarisierung und für ein Ausnutzen der militärischen Erfolge aussprach.

 

Auch ohne das stellt für die Spartakus-Gruppe der Eintritt der SPD in die – noch immer Krieg führende – Regierung einen Verrat am Sozialismus dar. Sie trifft sich in Berlin zu einer Reichskonferenz und beschließt ihr eigenes Programm für die künftige Entwicklung. Auf Flugblättern, die deutschlandweit verteilt werden, fordert sie:

– das sofortige Kriegsende

– die Errichtung einer sozialistischen Republik

– die Erkämpfung demokratischer Rechte und Freiheiten,

– eine umfassende Justizreform mit Abschaffung des Klassenwahlrechts und der Klassenjustiz

– eine Entmachtung und Entwaffnung der kaiserlichen Offizierkorps

– die Verleihung des Vereins- und Versammlungsrechtes an die Soldaten in dienstlichen und außerdienstlichen Angelegenheiten,

– die Aufhebung des Disziplinarstrafrechts der Vorgesetzten

– die Aufhebung der Kriegsgerichte,

– die Entfernung von Vorgesetzten auf Mehrheitsbeschluss der Untergebenen hin

– die Abschaffung von Todes- und Zuchthausstrafen für politische und militärische Vergehen.

– die Annullierung sämtlicher Kriegsanleihen ohne jede Entschädigung,

– die Sozialisierung der Produktionsmittel, die Enteignung des gesamten Bankkapitals, der Bergwerke und Hütten.

 

In der Vossischen Zeitung dagegen fordert Walther Rathenau ein „Verteidigungsamt“. Seiner Meinung nach ist das Friedensgesuch übereilt gestellt worden. Erst hätte man die Front festigen sollen, dann verhandeln. So aber werde die Antwort „unbefriedigend sein; mehr als das: zurückweisend, demütigend, überfordernd.“ Möglicherweise werde man im Westen nicht nur die Räumung der besetzten Gebiete, sondern auch Elsass-Lothringen fordern, im Osten Danzig, dazu Kriegsentschädigungen in Höhe von 50 Milliarden Mark. Um Frieden, aber nicht Unterwerfung zu bekommen, müsse man eine neue Front errichten. „Das Land ist ungebrochen, seine Mittel unerschöpft, seine Menschen unermüdet“, macht er sich und seinen Lesern vor.

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