Donnerstag, der 14. November 1918

Im Reichstag findet eine Versammlung der Soldatenräte statt. Auf der Tagesordnung steht ein Plan des am 10. November gegründeten Vollzugsrates des Arbeiter- und Soldatenrates, eine Rote Garde aufzustellen. Die meisten Soldatenräte sind dagegen und sehen in der Bildung einer Roten Garde ein unnötiges Misstrauensvotum gegen die Soldaten der Berliner Garnisonen. Auch Ebert hat sich als Gast angesagt und plädiert ebenfalls dagegen. Er sagt, er habe keine Sorge um die neue Regierung, da diese vom Vertrauen der breiten Massen getragen sei. Was ihm Sorge bereite, dass seien die vom Feind erzwungene schnelle Demobilisierung und die Lebensmittelversorgung. „Darum müssen sich alle Soldatenräte unbedingt der Organisation zur Verfügung stellen, damit die Demobilisation schnell und glatt abgewickelt wird und die Wirtschaftsversorgung nicht zu kurz kommt. … Wenn es uns gelingt, das alles in sechs bis acht Wochen durchzuführen, dann ist das neue Deutschland gerettet. Dann haben wir auch noch Aussicht, wenigstens einigermaßen günstige Friedensbedingungen durchzusetzen. Wenn der Gegner aber sieht, dass bei uns Anarchie herrscht, dann wird er uns Bedingungen diktieren, die das deutsche Wirtschaftsleben vollständig vernichten.“ Er bekommt dafür langanhaltenden Beifall, ebenso wie Stadtkommandant Otto Wels, der ebenfalls die Gefahr nicht von Rechts, sondern höchstens im „Terrorismus von links“ sieht. Er sagt, in Berlin und den Vororten würden Banden mit angeblichen Ausweisen von Soldatenräten plündern und das Leben der Einwohner bedrohen. Schließlich wird beschlossen, eine freiwillige Soldatengarde zum speziellen Schutz des bürgerlichen Eigentums und Lebens zu gründen. Außerdem will man Liebknecht, wenn er weiter in den Kasernen agiere, an die Luft setzen.

 

Tatsächlich kommen schon große Mengen „zurückflutender“ Soldaten in Deutschland an. Die neue Regierung lobt ausdrücklich die Kölner Arbeiter- und Soldatenräte, die an den Rheinübergängen und davor zwei Kordons eingerichtet haben, um die Soldaten abzufangen, zu entwaffnen und für ihre Verpflegung und den Weitertransport zu sorgen.“ Das Vorgehen in Köln sei vorbildlich für andere Räte. „Die große Aufgabe der Demobilisierung kann nur dann ohne schwere Erschütterungen für die öffentliche Ordnung gelöst werden, wenn die A. und S.-räte den Demobilisierungsbehörden freiwillige Hilfe leisten.“ In den Zeitungen erscheinen Zeitpläne, wann welche Gebiete geräumt sein sollen.

 

Auch Preußen bekommt eine vorläufige Regierung in Form eines Rates der Volksbeauftragten. Der preußische Rat ähnelt deutlich mehr einer normalen Regierung als der gesamtdeutsche. Eine Besonderheit ist jedoch, dass die wichtigsten Ressorts von einem SPD- und einem USPD-Mann gemeinsam besetzt werden. So werden die beiden Journalisten Paul Hirsch von der SPD und Heinrich Ströbel von der USPD gemeinsam preußische Ministerpräsidenten. Erstmals seit der Gründung des Deutschen Reiches ist damit der Reichskanzler nicht mehr gleichzeitig preußischer Ministerpräsident. Das preußische Abgeordnetenhaus wird aufgelöst, das Herrenhaus ganz beseitigt. In einem Erlass zur Zusammenarbeit zwischen Verwaltung einerseits und Arbeiter- und Soldatenräten andererseits, erklärt die neue preußische Regierung, dass die Räte als Kontrollinstanz der einzelnen Behörden, insbesondere der Oberpräsiden, Regierungen und Landratsämter dienen und bei allen wichtigen Verhandlungen zuzuziehen sind. „Die Form dieser Zuziehung wird sich vom Standpunkte gegenseitiger loyaler Unterstützung im Einzelnen leicht finden lassen, wenn dabei das Ziel unbedingter Fernhaltung jeder Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Auge behalten wird“, heißt es.

 

Die Berliner Stadtverordnetenversammlung bildet, um besser handlungsfähig zu sein, ein Gremium aus 20 Stadtverordneten und zehn Magistratsmitgliedern, das bei dringenden Fragen schnelle Entscheidungen treffen soll. Außerdem sollen vier sozialdemokratische Stadtverordnete ein Verbindungsglied zum Arbeiter- und Soldatenrat bilden, der die Arbeit überwacht. Der Philologie-Professor und liberale Stadtverordnete Paul Nathan rechtfertigt den Schritt ausführlich im Berliner Tageblatt. Auf diese Weise blieben „die kommunale Maschine“ und die „Verteilung der Machtverhältnisse“ in der Stadtverordnetenversammlung, die – „so spottschlecht das Wahlsystem ist“ – immerhin das demokratisch am besten legitimierte Gremium sei, erhalten. Dass die Sozialdemokraten der beiden Richtungen und die Bürgerlichen zugleich zustimmten, „ist ein Beweis von politischer Sachlichkeit, von politischer Mäßigung und von politischer Selbstbeschränkung, die in hohem Grade erfreulich sind. Dabei ist es selbstverständlich, dass keine Richtung auf die prinzipiellen Grundlagen ihrer Politik verzichtet hat; aber alle tragen Rechnung dem Erfordernis des Augenblicks zum Besten ihrer Riesenpflichten gegen die Berliner Bevölkerung. Und dieser Ausgleich verspricht Dauer, wenn man sich allseitig zunächst darauf beschränkt, die schweren Aufgaben des Tages zu lösen und wenn man die Entwirrung der Prinzipienfragen zurückstellt, bis durch Neuwahlen auf demokratischer Grundlage gesunde Voraussetzungen für eine Fortentwicklung der Berliner kommunalen Verhältnisse geschaffen sind.“

 

In Bremen dagegen werden Senat und Bürgerschaft durch den Arbeiter- und Soldatenrat aufgelöst.

 

Ebenfalls im Berliner Tageblatt feiert Minna Cauer, Frauenrechtlerin des „radikalen“ bürgerlichen Flügels und Herausgeberin der Zeitung Die Frauenbewegung, das Frauenwahlrecht, fordert aber gleichzeitig energisch zu politischem Engagement auf: „Deutsche Frauen, macht euch klar, alle, alle, dass die alte Zeit, dass die alten System, alte Methoden im Versinken sind! … Rafft euch auf, wie immer ihr euch auch bis jetzt zu den politischen Verhältnissen verhalten habt, ob passiv oder bequem ohne Nachdenken alles hinnehmend oder aktiv, lebhaft, zielbewusst und mit prinzipieller Stellungnahme zu der Entwicklung unseres Landes. … Jede Frau kann wählen … Wir rufen euch, appellieren an alle, die um die große Umwälzung sich bemühen, die den Ernst der Lage begreifen, die mit retten wollen. Steht nicht abseits, bleibt nicht fern! … Frauen, seid groß und handelt groß!“

 

In der neu gebildeten Tschechoslowakei wird der renommierte Philosophie-Professor Tomáš Garrigue Masaryk, der wie kein anderer während des Krieges für die Staatsgründung geworben hat, zum ersten Präsidenten des Landes gewählt. Er hält sich allerdings noch in den USA auf und kehrt erst am 21. Dezember zurück. Er wird es bis 1935 bleiben, viele seiner Ideale, etwa einen Ausgleich mit den nationalen Minderheiten, aber nicht durchsetzen können.

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.