Samstag, der 30. November 1918

Auch Wilhelm II. von Württemberg verzichtet schließlich auf seinem Thron. Da der Monarch außergewöhnlich beliebt gewesen ist und sich – wie ihm selbst die Revolutionäre bestätigten –immer sehr liberal verhalten hatte, hat er lange geglaubt, bleiben zu können. Als am 9. November jedoch Revolutionäre, teils Auswärtige, in sein Palais eingedrungen waren, ist er auf sein Schloss Bebenhausen geflohen. Dass ihm in der Folge niemand beigestanden ist und ihn zum Bleiben aufgefordert hat, nimmt er seinen einstigen Untertanen, so krumm, dass er später seinen Beerdigungszug um Stuttgart herum führen lässt.

 

Im Bürgertum geht noch immer die Angst vor einem erneuten und viel gewalttätigerem Aufflammen der Revolution oder sogar einem Bürgerkrieg um. Der Berliner Theologe Ernst Troeltsch, zu Beginn des Krieges glühender Nationalist, inzwischen wieder im liberalen Lager gelandet, schreibt: „Noch fürchtet man für das elementarste persönliche Dasein. Die Bedeutung für Deutschland und die Welt sieht noch niemand ab, kaum hat man Ruhe, sie zu bedenken. Man wundert sich, wenn man aus dem Haus geht, dass Häuser und Bäume noch stehen.“ Thomas Mann dagegen, der damals in München lebt und eine ähnliche politische Metamorphose wie Troeltsch durchgemacht hat, malt sich schon aus, wie er bolschewistischen Revolutionären, die in sein Haus eindringen würden, begegnen wolle. Gerüchte kursieren, Liebknecht verfüge über eine Armee von einigen Zehntausend Kämpfern, bezahlt mit russischem Geld, rekrutiert aus dem „Gesindel, und reiche Immobilienbesitzer, etwa im Berliner Grunewald, würden ihm bereits jetzt ungeheure Bestechungssummen zahlen, um im Falle der Revolution verschont zu bleiben.

 

Tatsächlich beginnt sich vielerorts in den Räten Unzufriedenheit breit zu machen, dass der revolutionäre Schwung von den Verantwortlichen im Rat der Volksbeauftragten nicht zu tiefgreifenderen Veränderungen genutzt wurde. Unter den Unzufriedenen, so die Historikerin Ursula Büttner, überwiegen junge Industriearbeiter und Soldaten, die erst durch die Proteste während der Endphase des Krieges oder die Revolution politisiert worden sind und nur eine oberflächliche Ahnung sowohl vom Marxismus wie von den realpolitischen Gegebenheiten haben. Dagegen ist etwa Rosa Luxemburg zurückhaltend, weil sie überzeugt ist, dass für einen Umsturz eine weit größere Unterstützung der Massen zwingend nötig ist. Rhetorisch allerdings nimmt sie kein Blatt vor den Mund und auch viele andere Führer der Linken äußern sich radikal. „Bei ihrem Kampf gegen der Rat der Volksbeauftragten ließen sie jedes Maß vermissen, so dass sich manche Aktivisten ermutigt fühlten“, schreibt Büttner in ihrem Buch Weimar. Die überforderte Republik.

Auch Interviews, die der österreichische Journalist Viktor Schiff nach dem Januaraufstand mit inhaftierten Spartakisten führte, zeigen vorwiegend junge Arbeiter und Soldaten, die irgendetwas bewirken wollen und dabei nur von wagen, teils falsch verstandenen politische Parolen geleitet werden.

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.