Christa Pöppelmann > November 1918 > Montag, der 9. Dezember 1918
Montag, der 9. Dezember 1918
In Berlin tagen die Soldatenräte. Zunächst geht es um die Ereignisse vom Nikolaustag. Max Cohen, ein Mitglied des Vollzugsrat, erzählt, dass die Soldaten des „Verhaftungskommando“ sehr leicht hätten umgestimmt werden können. Er verteidigt auch Ebert, der unschuldig sei, weist aber eindringlich darauf hin, dass es wirklich konterrevolutionäre Kräfte gebe und es hoch bedenklich sei, wie leicht diese bei den Gardefüsilieren mit gefälschten Stempeln und Papieren, bei den „Franzern“ lediglich aufgrund angeblicher mündlicher Weisungen hätten Soldaten requireren können.
Dann ergreift ein Potsdamer Soldatenrat namens Heine das Wort und erzählt, dass ihm große Truppenkonzentration zwischen Berlin und Potsdam aufgefallen seien. Obwohl seine Versuche der Kontaktaufnahme, etwa mit dem Divisionsstab der Gardeschützen in Nikolassee, abgeblockt wurden, folgert er ganz richtig, dass es sich um ein neues Generalkommando der OHL handelt, das außerhalb der bestehenden Kommandos agiert und keine Soldatenräte anerkennt. Er erzählt, er habe bereits Brutus Molkenbuhr als oberstem Vertreter der Soldatenräte im Vollzugsrat, Bericht erstattet, aber der Vollzugsrat wisse nichts von der Sache und zu Ebert habe er nicht durchdringen können. „Augenblicklich ist dringend erforderlich, dass die Regierung mit dem Vollzugsrat das neue Generalkommando Lequis überwacht“, fordert er. Die Soldatenräte beschließen daraufhin, sich um die „Aufklärung“ der einziehenden Truppen bezüglich der Revolution zu bemühen. Zusammen mit Cohen unternimmt Heine auch einen neuen Vorstoß bei Ebert, der sich bedeckt hält und nur verspricht, sich der Sache anzunehmen.
Gegenüber dem Vollzugsrat versichert Ebert, er werde nur Berliner Einheiten in die Stadt kommen lassen (allerdings sind die Garderegimenter fast ausschließlich in Berlin und Potsdam stationiert) und dafür sorgen, dass diese nur geringe Mengen an Taschenmunition erhalten. Die Öffentlichkeit wird informiert, dass es sich keineswegs um geheime konterrevolutionäre Truppenkonzentrationen handele, sondern sich Einheiten für einen Einzug und ehrenvollen Empfang in Berlin sammeln. Das wird größtenteils wohlwollend zur Kenntnis genommen, hat es anderswo in Deutschland solche Empfänge doch schon seit Wochen gegeben. Bereits am Abend legen dann Abgeordnete der Jägerdivision und der Gardekavallerieschützen im Steglitzer Rathaus in Gegenwart der Volksbeauftragten und des Kriegsministers einen Eid auf die Republik ab.
Hinter den Kulissten warnt die OHL Ebert, wenn er der Tyrannei der Spartakus- und Liebknecht-Anhänger nachgebe, dann halte es Hindenburg für seine Pflicht den Vollzugsrat mit allen Mitteln zu bekämpfen. Ebert akzeptiert schließlich, dass die einmarschierenden Divisionen das Mandat erhalten, die Zivilbevölkerung zu entwaffnen. Die Forderung der OHL jedoch, alle Zivilisten, die danach noch mit Waffen angetroffen werden, standrechtlich erschießen zu lassen, lehnt er ab.
Doch die Sache mit den Truppen ist nicht der einzige Aufreger des Tages. Bei einer Kabinettsitzung kommt es zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen Außenamtschef Wilhelm Solf einerseits und Hugo Haase und Emil Barth andererseits. Am Ende schmeißt Solf hin. Anstatt weiter den Sündenbock für die wenig freundliche Haltung der Kriegsgegner zu geben, geht er wieder ins Ausland. Er wird erst Geschäftsträger, dann Botschafter der deutschen Regierung in Tokio. Währen der NS-Zeit wird er seine guten Kontakte nach Japan nutzen, um jüdischen Freunden ein Visum zu verschaffen. Nach seinem Tod 1936 führen seinen Witwe Hanna und seine auf Samoa geborene Tochter So’oa’emalelagi, als Lagi Gräfin Ballestrem bekannt, nicht nur einen oppositionellen Gesprächskreis, sondern verhelfen Verfolgten mit gefälschten Pässen zur Flucht in die Schweiz. Beide überleben am Ende Lagerhaft und Folter, die sie zur Preisgabe ihrer Verbündeten zwingen sollte, nur knapp.
Anstelle des konzilanten Solf wird Ulrich von Brockdorff-Rantzau neuer Staatsekretär im Auswärtigen Amt. Er ist der ehemalige Gesandte in Kopenhagen und hat zwar liberale Ansichten, aber ein schneidiges Auftreten, das im Ausland alle Klischees vom preußischen Leutnant erfüllt. Außerdem ist Brockdorff-Rantzau ein entschiedener Verfechter der Linie, eine besondere deutsche Kriegsschuld zu leugnen. Er richtet sogar ein Spezialbüro ein, da propagandistisch gegen alle diesbezüglichen Behauptungen der Alliierten vorgehen soll. Daneben beruft er auch eine „Geschäftsstelle für die Friedensverhandlungen“ mit mehr als 100 Wirtschaftsfachleuten ein. Denn sein Hauptanliegen ist, Deutschland im internationalen Handel eine möglichst gute Position zu sichern, um einen Wiederaufbau voranzutreiben. Dafür ist er bereit, in den erwarteten Friedensverhandlungen in Sachen Abrüstung und Entschädigung Zugeständnisse zu machen.
Sein Kollege im Reichsinnenamt, Hugo Preuß, hat derweil zu einer dreitägigen Besprechung über die künftige Reichsverfassung geladen hat. Neben Regierungsvertretern und Referenten der Ministerien nehmen auch renommierte Wissenschaftler wie Max Weber teil.