Dienstag, der 10. Dezember 1918

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Berlin feiert den Einzug der Gardetruppen. Geschmückt und beflaggt ist die Stadt auf Anordnung von Otto Wels schon seit dem 24. November, als die ersten Einheiten heimkehrten. Doch wirklich „großen Bahnhof“ hat es bisher noch nicht gegeben. Die Bevölkerung ist größtenteils begeistert und empfängt die Soldaten mit Jubelspalier. Als erste Truppe überschreiten um 9 Uhr morgens die Garde-Kavallerie-Schützen, die im Rittergut Düppel genächtigt haben, die Stadtgrenzen und sammeln sich am Heidelberger Platz. Offiziere und Mannschaften haben sich mit kleinen Sträußchen aus Tannenzweigen und Maiglöckchen rausgeputzt, Pferde, Wagen und Waffen sind ebenfalls mit Tannengrün und Schleifen geschmückt. Begeisterte Kinder werden auf Kanonen und Pferde gehoben. Nur das Wetter spielt nicht mit. In Wintergrau und Nieselregen ziehen die Truppen unter Klängen wie „In der Heimat, in der Heimat, da gibt’s ein Wiedersehn“ entlang geschmückter Häuser und jubelnder, Blumen werfender Menschen Richtung Brandenburger Tor. Insgesamt ziehen an diesem Tag rund 7000 Soldaten durch die Hauptstadt. Voran die alten schwarz-weiß-roten Fahnen des Kaiserreichs. Auch die meisten Schleifen und Kokarden sind schwarz-weiß-rot, nur ganz wenige rot oder schwarz-rot-gold.

Am Pariser Platz empfängt Ebert die Heimkehrer mit warmen Worten: „Kameraden, willkommen in der Deutschen Republik, herzlich willkommen in der Heimat, die sich nach Euch gesehnt hat, deren bange Sorge Euch ständig umschwebte.“ Das Berliner Tageblatt schreibt: „Er wirft seine Worte langsam wie Bälle weithin über die aufmerksam lauschenden Massen. Man ruft Beifall bei jedem Wort des Dankes an die Truppen, und als das Hoch auf die Republik erklingt, erzittern die Grundfesten des Platzes, und auf den fernsten Dächern schwenken sie jubelnd die Mützen.“ Sehr schnell kommt Ebert auf die Gefallenen zu sprechen. „In diesem Augenblicke … gilt unser erster Gedanke den teuren Toten … Ihnen allen, die sich für den Schutz der Heimat aufgeopfert haben, unseren unauslöschlichen Dank. Wir können ihren Opfermut nicht vergelten, und bloße Worte sind zu schwach, ihnen zu danken.“ Das sind keine leeren Worte. Ebert weiß, wovon er spricht. Seine drei älteste Söhne waren im Krieg und zwei davon – der 20jährige Heinrich und der 21jährige Georg – sind 1917 gefallen.

 

In den nächsten Tagen ziehen weitere Regimenter in Berlin ein und werden ebenfalls gefeiert. „Gibt es etwas, das seltsamer und malerischer sein könnte, als diese endlos langen Kriegerreihen, wo die Waffen mit Blumen begränzt sind, auf den Kanonen und Wagen Soldatenbräute und strahlende Buben sitzen, bunte Kinderfahnen über den Gewehren wehen?“, schreibt Theodor Wolff im Berliner Tageblatt. „Kann etwas schöner sein, als die gebräunten Gesichter unter den Stahlhelmen, an denen ein heller, kleiner Friedensstrauß wie ein Gruß an das Leben steckt? Kann etwas schmerzlicher sein, als die Todesschatten und die Gedanken, die mit diesen Regimentern ziehen? Über allem schwebt die große Anklage, die nicht nur einzelnen Personen, sondern dem Wahnwitz und der Infamie eines ganzen Zeitalters gilt.“

Doch nicht nur in Berlin, wo es im Hintergrund das Kalkül der OHl gibt, nahezu überall im Land werden die heimkommenden Soldaten mit Fahnen und Musik empfangen. Die Bevölkerung wird aufgefordert, Geld und „Liebesgaben“ für bedürftige Heimkehrer zu spenden. Trotzdem gelingt es den rechten Kräften später den Mythos zu etablieren, die Soldaten wären bei ihrer Rückkehr in die Heimat gedemütigt worden. Der wahre Kern: Es gab während der Revolution Übergriffe gegen Offiziere, denen die Kokarden und Achselstücke von der Uniform gerissen wurden – oft durch ihre Untergebenen. Es waren Angriffe gegen den Militarismus der Vorkriegszeit und jene Kaste, die man als die Kriegstreiber sah.

Gegenüber den heimkehrenden Söhnen dagegen herrscht das Bedürfnis, ihnen Heldenmut und äußerste Opferbereitschaft für die Verteidigung der Heimat zu bescheinigen und ihnen die Verantwortung für die Niederlage zu nehmen. Das jedoch nährt den Mythos, das Heer sei im Felde unbesiegt geblieben. Sogar Ebert kratzt haarscharf an der von den Rechten ausgegebenen Dolchstoßlegende, als er in seiner Rede am Brandenburger Tor sagt „Kein Feind hat euch überwunden! Erst als die Übermacht der Gegner an Menschen und Material immer drückender wurde, haben wir den Kampf aufgegeben.“ Dagegen spricht der bayerische Ministerpräsident Eisner den Soldaten zwar auch den „heißempfundenen Dank“ aus, „dass Ihr heldenmütig für die Existenz der Heimat kämpftet“, betont aber: „Ihr gingt in den Kampf in dem Glauben, dass Ihr das Vaterland verteidigt. Wenn euch der Erfolg versagt war, so tragt nicht Ihr die Schuld, sondern das damalige Regierungssystem.“

Viele der kampfesmüden Soldaten interessiert das vorerst wenig. Kaum zuhause eingetroffen, laufen sie auseinander, um zu ihren Familien zu kommen. So auch in Berlin. Viele der von der OHL als zuverlässig eingestuften Gardesoldaten haben ihre feldgraue Existenz genauso satt wie andere. Daneben gibt es aber auch jene, die viel radikalere Pläne wälzen, als die Räte zu entmachten und einer Regierung Ebert „in den Sattel“ zu helfen. Im Grunde wissen in den nächsten Wochen weder die Regierung, noch die OHL über welche Truppen sie noch verfügen.

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