Christa Pöppelmann > November 1918 > Freitag, der 16. Januar 1919
Freitag, der 16. Januar 1919
Die Berichterstattung der Berliner Zeitungen über den Mord – auf Grundlage der Papst-Erklärung verursacht ungeheure Erregung. Der Tenor der rechten Presse ist, den Spartakistenführern sei recht geschehen. Der Reichsbote schreibt, Liebknecht sei getötet worden, bevor er erneut habe zuschlagen können. Sein Tod bedeute, „dass viele unschuldige Menschen lebten werden.“ Die Tägliche Rundschau behauptet: „Blut schrie nach Blut! Das Blutbad, das Liebknecht und Rosa Luxemburg angerichtet, verlangt Sühne. Sie ist schnell eingetreten und war bei Rosa Luxemburg grausam aber gerecht. Man schlug die Galizierin tot.“ Es wird getan, als habe tatsächlich eine bolschwistische Revolution stattgefunden, nicht nur die Besetzung von ein paar Gebäuden, als hätte die Linke Gewaltexzesse begangen und nicht nur einige Soldaten im Kampf getötet.
Im Berliner Tageblatt stellt Paul Michaelis Liebknecht als einen Geisteskranken dar, den man bereits früher durch überharte Verfolgung – die Zuchthausstrafe – zum Märtyrer gemacht habe. Er habe Deserteure und anderes Gesindel um sich geschart, dass er dann nicht mehr in der Hand gehabt habe. Rosa Luxemburg kommt besser weg. Michaelis bescheinigt ihr außerordentiche Intelligenz und Energie. „Sie war klein und sah ziemlich unscheinbar aus, hatte aber sehr kluge Züge und war fesselnd, wenn sie sprach. … Es darf auch von ihren Gegnern nicht geleugnet werden, dass sie in ihrem Handeln aufrichtig war, dass sie Armen und Untedrückten zu helfen suchte. … Aber sie war maßlos in ihrem Haß. … Bis kurz vor dem Ausbruch der Spartacus-Revolte veröffentlichte sie in der Roten Fahne Artikel, in denen ihr schriftstellerisches Talent und ihr Wissen sich zeigte, und die gewiss zu literarisch für die Mehrzahl der Leser waren, für die sie schrieb.“ Klar verurteilt werden die Lynchmorde. Michaelis schreibt, Luxemburg hätte wegen ihrer Revolute wie auch alle anderen vor Gericht gestellt und hart bestraft werden müssen. „Aber wir wollen Jusitz für alle, und kein anständig empfindender Mensch billigt die von einer rasenden Menge ausgeübte Lynchjustiz.“
Alle jedoch nehmen die offizielle Version – Liebknecht auf der Flucht erschossen, Luxemburg von der Menge gelyncht – unwidersprochen hin. Außer der Freiheit. Sie zitiert Zeugen, die erklären, das Eden-Hotel sei weiträumig abgesperrt gewesen und keine „erregte Menschenmenge“ zugegen gewesen, sondern nur erregte Soldaten, die beide Verhafteten niedergeprügelt hätten. Auch Rosa Luxemburg sei von einem Soldaten erschossen worden. Überdies, so die Macher der Freiheit, sei die Geschichte, dass eine erregte Menge Luxemburgs Leiche entführt habe, ohne dass die Soldaten hätten feststellen können, wohin, genauso unglaubwürdig, wie jene, dass das Auto mit Liebknecht ausgerechnet an der dunkelsten Stelle des Tierparks eine Panne gehabt habe, die Soldaten sich dann entschieden hätten, mit ihm zu Fuß weiterzugehen, anstatt Hilfe zu holen und die Leiche dann von einem Dritten, der einen der bekanntesten Männer Berlins nicht erkannt habe, gefunden und bei der Polizei abgegeben worden sei. Überdies sei Liebknecht von vorne, nicht von hinten erschossen worden, was ein eindeutiger Beweis sei, dass die ganze Fluchtgeschichte nicht stimme. Das Problem: Diese Information stimmt nicht, wie die Freiheit selber einen Tag später zugeben muss. Bei einer Leichenschau im Beisein von Liebknechts Bruder und Hugo Haase wird festgestellt, dass die tödlichen Schüsse von hinten und aus einer Entfernung von mehr als 25 Zentimeter abgegeben wurden. So macht es die USPD-Zeitung den anderen leicht, all ihre Informationen als linke Märchen abzutun.
Während der Tathergang bei der Ermordung von Luxemburg und Liebknecht aber heute relativ unstrittig ist – mit Unsicherheiten in Hinblick auf die Rolle der Regierung -, herrscht auf der Linken teilweise die Auffassung, dass der ganze Aufstand von der Regierung provoziert worden sei, indem „Lockspitzel“ die Besetzungen der Zeitungsredaktionen initiierten. Grundlage ist eine Information, die der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner an diesem Tag mitteilen lässt: Fritz Drach, einer der Anführer der Aktion, sei nach seinen Informationen während des Krieges ein bezahlter Agent der OHL in der Schweiz, ein „Spion Ludendorffs“, gewesen.
In Bremen dagegen scheint sich ein friedliches Ende der Räterepublik abzuzeichnen. Die Anführer stellen in Aussicht, dass sie aufgeben und Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung in die Wege leiten werden.