Christa Pöppelmann > November 1918 > Dienstag, der 11. Februar 1919
Dienstag, der 11. Februar 1919
In Weimar wird Friedrich Ebert zum vorläufigen Reichspräsidenten gewählt. Er bekommt 277 von 379 Stimmen, der konservative Kandidat Arthur von Posadowsky-Wehner, der nach dem Kapp-Putsch die DNVP verlassen wird, 49, Scheidemann und Erzeberger, die gar nicht kandidierten je eine (was große Heiterkeit verursacht), dazu kommen 51 leere Zettel, vor allem von der USPD. „Der Ruf, den sie soeben an mich richteten, ist ein Ruf zur Pflicht“, beginnt Ebert seine Dankesrede. „Ich folge ihm in dem Bewusstsein, dass heute mehr denn jemals jeder Deutsche auf dem Platz, auf den er gestellt wird, seine Schuldigkeit zu tun hat. Mit allen meinen Kräften werde ich mich bemühen, mein Amt gerecht und unparteilich zu führen, niemandem zuliebe und niemandem zuleide. … Ich will und werde als der Beauftragte des ganzen deutschen Volkes handeln, nicht als Vormann einer einzigen Partei.“
Deutsches Staatsoberhaupt ist damit ein Handwerkergeselle, der nur über Volksschulbildung verfügt und keine Fremdsprachen spricht. „Ich bekenne aber auch, dass ich ein Sohn des Arbeiterstandes bin“, so Ebert weiter, „aufgewachsen in der Gedankenwelt des Sozialismus, und dass ich weder meinen Ursprung noch meine Überzeugung jemals zu verleugnen gesonnen bin. Indem Sie das höchste Amt des deutschen Freistaates mir anvertrauen, haben Sie – ich weiß es – keine einseitige Parteiherrschaft aufrechten wollen. Sie haben den ungeheuren Wandel anerkannt, der sich in unserem Staatswesen vollzogen hat. … Die ganze wirtschaftliche Entwicklung lässt sich darstellen als eine fortwährende Verringerung und Abtragung der Vorrechte der Geburt …. Auch hier werden wir bestrebt sein müssen, allen, im Rahmen des menschlich Möglichen, den gleichen Ausgangspunkt zu geben und das gleiche Gepäck aufzuladen.“
Seine Frau Louise ist Tochter eines Tagelöhners, hat schon als Kind als Dienstmagd und Hausmädchen gearbeitet, später als Kisten- und Etikettenkleberin in der Fabrik. Auch sie war gewerkschaftlich engagiert gewesen und hatte darüber ihren Mann kennengelernt. Doch dank natürlicher Anmut, Liebenswürdigkeit und Fingerspitzengefühl wird sie zu einer sehr präsentablen First Lady. Und auch Ebert erwirbt sich Respekt auf internationalen Parkett. So äußert der hochadelige, spätere britische Boschafter Edgar Vincent Viscount D’Abernon einmal: „Wenn man überlegt, dass er ein Sattlermeister war und dass sie aus ganz kleinen Verhältnissen stammt, setzt einen die Würde und Zurückhaltung ihres Benehmens in Erstaunen. Niemand würde es wagen, sich irgendwelche Freiheiten gegen Ebert herauszunehmen.“
Repräsentation allerdings liegt Ebert nach wie vor nicht. Er sieht sich als arbeitenden Reichspräsidenten. Dazu gehört für ihn vor allem, sich über alle Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten und sich stets ein angemessenes Bild der Lage machen zu können. Gründliche Information aus allen zugänglichen Quellen ist seine oberste Devise. Seine erste Maßnahme im Amt ist, die Erstellung von Wirtschaftsberichten zu veranlassen, die aufgeschlüsselt nach Industriezweigen und Regionen Auftragslage, Kapazitäten, Beschäftigtenzahl, Löhne, Gehälter und Entwicklungsprognosen erfasst. Auch ständige Kontakte mit den Ministern, mit den in Berlin akkreditierten Diplomaten und Verbandsvertretern gehören zu seiner Politik. Um all das leisten zu können, besteht er auf einem eigenen Apparat. Das führt zu schweren Konflikten mit der SPD-Fraktion und Philipp Scheidemann, die anführen, damit bestehe die Gefahr, dass das Amt – unter einem späteren Amtsinhaber aus einer anderen Partei natürlich – zu einer Nebenregierung werde. So wird Ebert erst von der bürgerlichen Regierung 1920 eine größere technische und personelle Ausstattung des Reichspräsidentenamtes zugestanden.
In seiner Antrittsrede bekennt Ebert sich aber auch noch mal zum demokratischen Staat: „Freiheit und Recht sind Zwillingsschwestern. Die Freiheit kann sich nur in fester staatlicher Ordnung gestalten. Sie zu schützen und wiederherzustellen, wo sie angetastet wird, das ist das erste Gebot derer, die die Freiheit lieben. Jede Gewaltherrschaft, von wem sie auch komme, werden wir bekämpfen bis zum Äußersten.“
Als künftigen Ministerpräsidenten (so der neue Name für das alte Reichskanzleramt) beauftragt Ebert Philipp Scheidemann mit der Regierungsbildung. Dass aber alle drei höchsten Staatsämter mit SPD-Politikern besetzt werden, wollen die beiden kleineren Koaltionspartner nicht hinnehmen. Eduard David muss deshalb seinen Posten als Parlamentspräsient nach nur drei Tagen wieder abgeben. Sein Nachfolger wird der frühere Reichstagspräsident, Constantin Fehrenbach vom Zentrum.