Freitag, der 21. November 1919

Die deutsche Zentrale für Jugendfürsorge schlägt Alarm. Den Kinderheimen fehlen die nötigen Mittel, ihren Betrieb aufrecht zu erhalten. Nicht wenige haben den Betrieb schon eingestellt, andere nehmen keine neuen Kinder mehr auf. Der Grund: Ein Großteil der Einrichtungen war privat finanziert, doch gerade der spendefreudige Mittelstand ist durch den Krieg arg gebeutelt worden. Auch die Nationalversammlung diskutiert über Hilfen.

Aus Dänemark kommen Angebote, deutsche Kinder während des Winters, etwa über Weihnachten acht Wochen lang aufzunehmen.

In Österreich sind die Zustände jedoch noch schlimmer als in Deutschland. Von der dortigen Not mache man sich hierzulande gar keine Vorstellung, schreibt ein Korrespondent des Berliner Tageblatts. Die Brotzuteilung in Wien betrage nicht viel mehr als 250 Gramm am Tag, dazu kämen 500 Gramm Kartoffeln, 100 Gramm Fleisch und 120 Gramm Fett pro Woche. Und alle Holzbänke an den Promenaden seien längst spurlos verschwunden, da Kälte und Kohlenmangel vor allem für Kranke und Babys lebensbedrohliche Ausmaße angenommen hätten. Viele werten die Not als Zeichen dafür, dass Deutsch-Österreich alleine nicht lebensfähig ist und durch das Verbot eines Zusammenschlusses mit Deutschland im Vertrag von Saint-Germain  systematisch ruiniert wird. In Deutschland kommt es zu Spendenaufrufen für die „hungernden Kinder von Wien“.

 

In Berlin-Wilmersdorf wird ein Schulleiter, der zahlreiche Schüler beurlaubt hatte, um an den Demonstrationen pro Hindenburg teilzunehmen, seines Amtes enthoben. Die Sache wird auch in der Stadtverordnetenversammlung heftig diskutiert. Die linken Abgeordneten prangern besonders an, dass im Rahmen der angeblich „spontanen Huldigung“ antisemitische Hetzblätter an die Schüler verteilt worden seien, die die Juden des Schleichhandels und Friedenswuchers anklagten und dazu aufriefen, die angebliche Judenherrschaft zu beenden. Auch in Berlin-Lankwitz diskutiert der Gemeinderat über Maßnahmen gegen Schüler, die am 9. November schwarz-rot-goldene Fahnen von den öffentlichen Gebäuden gerissen und dabei zahlreiche Fenster eingeworfen haben. Schularrest und Schadensersatz erscheint vielen Abgeordneten als zu milde Strafe. Währenddessen fordert ein „oberster Schülerrat der vereinigten Gymnasien von Berlin“ Reichswehrminister Noske auf, binnen drei Tagen eine Erklärung zu veröffentlichen, dass die Arreststrafen für die am Hindenburg-Empfang beteiligten Soldaten ungültig sein, andernfalls werde man in einen Schülerstreik treten. Das Berliner Tageblatt spottet, es wäre begrüßenswert, wenn die höheren Schülen endlich von parteipolitischen Störenfrieden befreit würden.

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