Christa Pöppelmann > November 1918 > Montag, der 19. Januar 1920
Montag, der 19. Januar 1920
Vor dem Berliner Landgericht beginnt der Prozess, den Finanzminister Erzberger gegen Karl Helfferich wegen Verleumdung angestrengt hat. Im Kern geht es um Hellferichs Broschüre „Fort mit Erzeberger“, in dem dieser Erzberger vorwirft, seine Friedensinitativen während des Krieges hätten nicht nur den Kriegswillen des Feindes gestärkt, sondern sie seien auf Anstiftung der österreichischen Politik hinter dem Rücken der deutschen Reichsleitung verfolgt „für einen Frieden nicht etwa der Verständigung, sondern des Verzichts und der Unterwerfung.“ Damit habe Erzberger jede Hoffnung auf Frieden, die im Sommer 1917 unter dem Druck des U-Boot-Krieges herangereift sei, sabotiert. Diese Broschüre wird zum Auftakt des Prozesses erst einmal drei Stunden lang verlesen. Es folgen diversen Presseartikel, in denen Helfferich Erzberger auch noch als notorischen Lügner bezeichnete und ihm vorwarf unlautere Geschäfte zu machen. Erzberger wiederum warf Helfferich vor, an Deutschlands jetziger Situation ein gerüttelt Maß an Schuld zu tragen. Denn unter seiner Ägide als Finanzminister seien die Pläne zur Ausbeutung Belgiens gemacht und gefördert worden. Helfferich sei der Exponent jener verhängnisvollen Politik, die das Deutsche Reich und das deutsche Volk in den Zusammenbruch geführt hätten. Helfferich bezeichnet auch die schwerindustriellen Aspirationen auf Belgien, eine während des Krieges oft wiederholte Hauptforderung, wenn es um Kriegsziele ging, als gemeine Lüge.
Die Feindschaft der beiden reicht weit in die Vorkriegszeit zurück. Erzbergers Einsatz gegen diverse Kolonialskandale hatte Helfferich, der damals Experte für Wirtschaftsfragen in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes war, den Job gekostet. Nach einer steilen Karriere bei der Deutschen Bank wurde er dann doch noch erst Leiter des Reichschatzamtes, später auch des Innenamtes und Vizekanzlers, musste aber am 9. November 1917 dem Liberalen Friedrich von Payer weichen. Neben persönlichem Hass gegen Erzberger trieb Helfferich jedoch auch eine strikte Ablehnung der Demokratie. Im Sommer 1919 überzog er ihn erst in einer Artikelserie in der Kreuzzeitung, dann mit der Broschüre „Fort mit Erzberger“ mit einer Flut von Vorwürfen, er verstoße gegen die Wohlanständigkeit, sage gewohnheitsmäßig die Unwahrheit, agiere mit unrechtmäßig erworbenen Geheimdokumenten und habe persönliche Geldinteressen mit seiner politischen Tätigkeit vermischt. Man suchte ihm nachzuweisen, er habe illegale Geldtransaktionen ins Ausland vorgenommen und besitze dort ein heimliches Millionenvermögen. Während des Prozesses erhebt Helfferich dann immer neue Vorwürfe, die jedoch nach damaliger juristischer Lage nicht zum Gegenstand einer neuen Beleidigungsklage gemacht werden können.
Währenddessen verläuft die Räumung der abzutretenden Gebiete in Schlesien, Westpreußen, Ostpreußen und Schleswig ohne Zwischenfälle.