Christa Pöppelmann > November 1918 > Donnerstag, der 26. Februar
Donnerstag, der 26. Februar
Im Erzberger-Helfferich-Prozess sind der ehemalige Kanzler Bethmann Hollweg und Minister Solf als Zeugen geladen. Helfferich will beweisen, dass Erzbergers Friedensresolution im Juli 1917 „ein feiger Überfall aus dem Hinterhalt“ auf die Regierung gewesen sei, Erzberger aber hinterher in einem Zeitungsinterview gesagt habe, die Aktion sei nicht ohne Benachrichtigung der Regierung erfolgt, was „eine ausgesuchte Unwahrheit“ gewesen sei. Erzberger erklärt, er habe die Regierung vor einer Aktion gewarnt, aber nicht konkret über sein Vorhaben informiert.
Jedoch auch die Demokraten, die die Friedensresolution damals begrüßten, mittrugen und sich nach dem verlorenen Krieg gegenüber den Militaristen ans Revers hefteten, finden Erzbergers ganzes Agieren unentschuldbar. Es dürfte schon feststehen, dass Erzberger als Minister nicht mehr möglich sei, erklärt Ernst Feder im Berliner Tageblatt. „Sein ganzes Auftreten im Prozess, sein ausweichendes Antworten, dass vielfach befremdende Versagen seines Gedächtnis entziehen ihm das Vertrauen, dessen der Parlamentarier im demokratischen Volksstaat mehr als unter jeder anderen Staatsform bedarf. Dieselbe Wirkung hat die Art, wie er als Abgeordneter, ohne Geschäftsmann zu sein, in allen möglichen geschäftlichen Dingen seine Hand hatte, in großen, mehr noch in kleinen. … Erzberger war stets, das ist von demokratischer Seite oft, zuletzt auf dem Parteitag der württembergischen Demokraten, betont worden, eine Belastung für die Demokratie. Die Grenze der Tragfähigkeit ist erreicht.“
Doch auch im Zentrum sind nicht wenige froh, Erzberger in die Bredouille geraten zu sehen. In einem Blatt namens „Görres-Korrespondenz“ wird der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass der Prozess am Ende zu Neuwahlen führen werde „unter der Losung der Überwindung des parlamentarischen Systems Pariser Zuschnitts durchzusetzen – innerhalb des Zentrums im Namen der alten Führer der Partei, im Einstehen für ihre schlichte Art und ihre wahrheit volkstümlichen Überlieferungen.“ Das Berliner Tageblatt nennt das eine Kampfansage an die Demokraten im Zentrum und einen Versuch, sich „allmählich wieder nach rechts zu orientieren und damit zu den seligen Zeiten der Lieber, Spahn und Hertling zurückzukehren“ – obwohl sie selbst einen Tag zuvor Peter Spahn als Belastungszeugen gegen Erzberger bemüht hatten.
In der Sonntagsausgabe vom 29. Februar jedoch gibt das Berliner Tageblatt dem badischen DDP-Reichstagsabgeordneten Ludwig Haas Raum für eine Verteidigung Erzbergers. Haas räumt ein, dass „auch, wenn man sich der Massenpsychose entzieht, die im Fall Erzberger wieder einmal deutlich in Erscheinung tritt“, das Vertrauen in den Minister wohl so stark erschüttert ist, dass er zurücktreten müssen wird. „Für eine staatskluge Demokratie kommt dabei die Frage der Verschuldung in zweiter Linie; selbst wenn ohne Schuld das Vertrauen in einen Führer verloren geht, muss er daraus die Konsquenzen ziehen.“ Dann jedoch prangert er die „geradezu, verbrecherische Hetze“ gegen Erzberger an. „Wie maßlos sie war, hat das Attentat auf ihn gezeigt. … Ernsthafte Mernschen erzählten, ‚aus guter Quelle‘ zu wissen, das Erzberger von England bestochen sei, dass er die ihm zu Propagandazwecken vom Reich anvertrauten Gelder unterschlagen habe, dass er viele Millionen in der Schweiz im Depot liegen haben. Die Schamlosigkeit ging so weit, dass man sogar die verstorbene Mutte Erzbergers mit Schmutz bewarf … Die fettesten Kriegsgewinnler und noch mehr deren Frauen in den neuen Pelzmänteln und mit den neuen Perlenketten erzählten von dem verschwenderischen Luxus der Familie Erzberger in St. Moritz. Dort lag seine schwerkranke Tochter, nachdem der Sohn gestorben war. Aber man wusste es von einem Vetter oder von dem berühmten Schweizer Bankier, dass sie eine ganze Etage bewohnten und schamlos schlemmen. Gegen Erzberger wüteten die Alldeutschen seit der Friedensresolution; sie erhielten Zuzug aus kapitalistisch interessierten Kreisen, in denen man den rücksichtslosen Finanzminister hasste, als ob nicht jeder andere Finanzminister auch die härtesten Steuern einführen müßsste. Dazu kam der Standesdünkel gegen den früheren Lehrer. Wie kann ein früherer Lehrer etwas von Volkswirtschaft und von Finanzen verstehen! Auch die alte Kampfestimmung gegen das Zentrum hat das ruhige Urteil vieler getrübt. Aber die Weiterblickenden auf der Rechten wollten in Erzberger den neuen Staat treffen, und die Dummen bie uns fangen an, in die reaktionäre Falle zu gehen. Auch wenn man von der Vielgeschäftigkeit Erzbergers und seinen mannigfaltigen Beteiligungen, die übrigens durchaus nicht schnöder Gewinnsucht entspringen müssen, unangenehm berührt ist, so sei zunächst festgestellt: das hat mit dem neuen System nichts zu tun. Die Fälle, die der Prozess behandelte, spielen fast ausnahmslos zur Zeit des alten Systems. Wenn es wahr sein sollte, dass Beamte des alten Systems sachliche Erwägungen aus Liebedienerei für den Abgeordneten Erzberger zurücktreten ließen, so trifft das nicht die Demokratie, sondern das frühere System: Überhaupt: was im Prozess Erzberger zutage gefördert wurde, sind Kleinigkeiten gegen die Korruption, die das alte System während des Krieges entstehen ließ. … Politiker, die vor dem Kriege, im Kriege und jetzt wieder zugelassen haben und zulassen, dass die Schwerindustrie, Geschäft und Politik verquickt, sollten sehr schweigsam sein! Sie sitzen nicht auf der Linken. Politiker, die unter dem alten System stark belastetete Abgeordnete in ihrer Fraktion ertragen haben, sollten jetzt keine Moralbetrachtungen anstellen. Sie sitzen nicht auf der Linken. Gab es jemals eine bösere Verquickung von Geschäft und Politik als die Annexionspropaganda und des Kampfes für den unbeschränkten U-Boot-Krieg?“ Hier habe Erzberger sich mancherlei Verdienste umn das Vaterland erworben. „Er hat im Kampf um die Friedensresolution das Lügengewebe über unsere Lage rücksichtslos zerrisssen. Er hat im Interesse des inneren Friedens und zur Schaffung einer regierungsfähigen starken Mehrheit im zentrum die demokratische Richtung gefördert. Er hat mit seiner starken Arbeitskraft jene rücksichtslose Steuerpolitik durchgesetzt, die – wie immer man auch über Einzelheiten denken mag – uns allein vor dem völligen finanziellen und damit dem wirtschaftlichen Ruin bewahren kann.“ Im Gegensatz zu der Überzeugung von Theodor Wolff und dem Berliner Tageblatt, kreidet Haas Erzberger auch nicht an, dass er die Unterzeichnung des Waffenstillstandes nicht dipolomatisch Fähigeren überlassen hat und dann vehement für die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrages geworben hat. Seine tragische Schuld sei vielmehr gewesen, dass er 1917 zum Sturz von Kanzler Bethmann Hollweg beigetragen haben. „Bethman zu stürzen, ohne Einfluss auf die Ernennung des Nachfolgers zu besitzen, war ein politscher Fehler von ungeheurer Tragweite. Das alte System beglückte uns dann mit Michaelis und die Friedensresolution war sabotiert. Allein durch die Ernennung eines Michaelis zum Kanzler in jenem furchtbaren Augenblicke deutscher Geschichte ist das alte System gerichtet. Das bleibt die Tragik im Leben Erzbergers, dass er mit den Rechten verhandelte, als nur noch ene klar Politik der Linken das Vaterland retten konnte.“ Ihm jedoch Lügen vorzuwerfen, sei Unrecht. „In jenen Tagen wechselten die Stimmungen und Entschlüsse von Stunde zu Stunde. Der Zuhörerraum im Prozess Erzberger-Helfferich mag in seinem guten Geschmack lachen, wenn in jenen Tagen widerspruchsvolle Entschlüsse gefasst wurden, er mag lachen, wenn ein Mann unter seinem Eide Einzelheiten nicht mehr wiedergeben kann, aber wer die Tage miterlebte, denkt und urteilt anders.“
Direkt an Haas‘ Artikel anschließend bekräftigt jedoch Robert Janssen, Hauptgeschäftsführer der DDP, dass Erzberger als Mitglied der Regierung für die Deutsche Demokratische Partei nicht mehr tragbar sei.