Christa Pöppelmann > November 1918 > Dienstag, der 6. April 1920
Dienstag, der 6. April 1920
Die Franzosen machen ihre Drohung wahr und besetzen in den frühen Morgenstunden Frankfurt und, Darmstadt, später auch Hanau, Offenbach und Königsstein. Im Laufe des Tages ziehen 25.000 bis 30.000 Soldaten, darunter viele Kolonialtruppen aus Marokko, Algerien und dem Senegal, ein. Zwischenfälle gibt es nicht. Die Bevölkerung steht neugierig am Straßenrand. Es werden jedoch einige große Hotels und Privatquartiere für die Unterbringung der Offiziere beschlagnahmt. Alle öffentlichen Gebäude werden besetzt, die Beamtenschaft jedoch aufgefordert, unter Aufsicht, weiterzuarbeiten. Unter anderem auch, für Unterbringung und Verpflegung der Truppen zu sorgen. Auf den Straßen wird patroulliert. Frankreich versichert, die Truppen würden sofort wieder zurückgezogen, wenn die Reichswehr das Ruhrgebiet verlassen hätte.
Die deutsche Regierung sendet eine Protestnote, in der sie nochmals darlegt, warum ein Nichteingreifen unverantwortlich gewesen wäre. Die ganze Aktion lässt in Deutschland die Verbitterung gegenüber Frankreich wachsen. Theodor Wolff kommentiert französische Plakate in Darmstadt, die einem aggressiven Vorgehen der Berliner Militärregierung gegen die Arbeiter im Ruhrgebiet sprechen: „Eine ‚Militärpartei‘ ist im gegenwärtigen Augenblicke nur noch in Frankreich an der Macht. Dort herrscht, wie nirgends sonst, die militaristische und nationalistische Reaktion. Dort sind die Geister genau so, wie es die Geister in Deutschland während der langen Jahre waren, durch den Militarismus verdunkelt und unempfindlich für Vernunft und Wahrheit gemacht. Dort werden noch, begünstigt durch die Sorgen und Leiden eines im Kriege schwer verwundeten Volkes, die alten verblendeten Gewalttheorien und giftigen Rachegedanken den Seelen eingeprägt.“ Er geht soweit den französischen Ministerpräsidenten Millerand zum Schutzherren aller Anarchisten, Bolschewisten und Räuber zu erklären und zu drohen: „Jede Regierung, die im Auslande die Anarchie unterstützt, hat Anspruch darauf, dass ihre solche gute Tat im eigenen Lande vergolten wird.“ Außerdem prophezeit er, dass die Besetzung der hessischen Städte auch nach dem Abzug der Reichswehr aus dem Ruhrgebiet aufrechterhalten werden wird, nun als Pfand gegen angebliche andere Verletzungen des Versailler Vertrages.
In Frankreich heißt es etwa im Jounal des Débat: „Wir sehen uns einem ausgesprochen bösen Willen gegenüber. Wir wissen, dass man jenseits des Rheins den Vertrag als einen Fetzen Papir zu bezeichnen gewohnt ist [eine Anspielung auf eine Bemerkung Kanzler Bethmann Hollwegs zur belgischen Neutralität unmittelbar vor dem Einmarsch 1914]. Unser militärischer und finanzieller Zustand erlaubt uns nicht, zu warten, bis es den Deutschen passt. Sind die Fristen abgelaufen, so bleibt uns nur Gewaltanwendung übrig. Wir rechnen auf die loyale Mitarbeit unserer Verbündeten, sie haben uns förmlich und feierlich die Entwaffnung Deutschlands versprochen, sie könnten sich der Erfüllung einer heiligen Pflicht, die auch ihren Lebensinteressen entspricht, nicht entziehen.“ Dagegen spekuliert die sozialistische L’Humanité, es liege ein geheimes Abkommen vor. Während Deutschland im Ruhrgebiet die sozialistischen Organisationen bekämpfe, schütze Frankreich in Franfurt das Großkapital gegen etwaige Unruhen. Und eine belgische Zeitung will erfahren haben, dass der Arbeiteraufstand eine von Berlin selbst inszenierte Komödie sei, die dazu dient, zusätzlich zu den Arbeiterwehren auch Reichswehr ins Ruhrgebiet schicken zu können. Insgesamt wolle man 100.000 Mann dort zusammenziehen. Ein Vorwand, die Alliierten anzugreifen und dann das linke Rheinufer, sowie Elsass und Lothringen zurückzuerobern, sei dann schnell gefunden.
Außerdem protestiert Deutschland dagegen, dass in den nun polnischen Ostgebieten, die deutschen Beamten aufgefordert werden, bis zum 7. April um 18 Uhr ihre Dienstwohnungen zu räumen. Denn nach einem deutsch-polnischen Vertrag hat die Tätigkeit der deutschen Beamten zwar am 31. März geendet, doch es wurden drei Monate Abzugsfrist vereinbart.
Unterdessen rücken die Reichswehrverbände kampflos in Essen ein und besetzen die Stadt. Der Essener Zentralrat weicht nach Barmen aus und prangert den Einmarsch als Bruch der Regierungsversprechen an.
In Berlin wird die Synagoge in der Fasanenstraße mit Hakenkreuzen aus schwarzer Ölfarbe beschmiert „die in gewissen Kreisen als antisemitische Wahrzeichen gelten“, wie die Presse schreibt. Und im Zug von Köln nach Berlin wird ein jüdischer Kaufmann nach einer „Ausweiskontrolle“ durch Mitglieder der Brigade Epp festgenommen und nach Münster geschafft. Seine nichtjüdischen Mitreisenden benachrichtigen in Berlin die Angehörigen, die seine Freilassung bewirken, und eidlich bekunden, dass die Vorwürfe, der Verhaftete habe aufrührerische Reden geführt und sich als Freund Karl Radeks gebrüstet, nicht zutreffen. Gegen die Freikorpsleute wird ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung eingeleitet