Christa Pöppelmann > November 1918 > Mittwoch, der 7. April 1920
Mittwoch, der 7. April 1920
Der neue Reichswehrminister Geßler kündigt an, dass alle Militärs, die wegen der Teilnahme am Kapp-Putsches angeklagt würden, vor Zivil-, nicht Militärgerichte gestellt werden. Der Umbau der Reichswehr aber sei wegen der unklaren Verhältnisse und der vielfach fehlenden Offiziere aber extrem schwer. Die Brigade Ehrhardt bekomme wegen der beim Abzug zugesagten Amnestie noch bis zum 10. April Löhnung. Danach werde sie aufgelöst, notfalls mit Gewalt. Es sei jedoch äußerst schwer, die rund 5000 Mann wieder ins zivile Leben zu integrieren, da sich die Arbeiter vielfach weigern würden, mit ehemaligen „Baltikumern“ zusammenzuarbeiten.
In Königsberg tritt Oberpräsident August Winnig wegen seiner Unterstützung des Putsches zurück. Er erklärt auch, dass er die volle Verantwortung übernehme und jede Unterstützung mittels der Beamtenschaft auf seine Weisung zurückgehe.
In Frankfurt kommt es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Bevölkerung und französischen Besatzern. An der Hauptwache sollen Soldaten, die beschimpft wurden, in die Menge gefeuert und dabei 10 Menschen getötet haben. Dafür heißt es, dass am Kaiserplatz drei französische Soldaten erschlagen wurden, was sich jedoch später als Gerücht herausstellt. Die deutsche Regierung fordert Schadensersatz für die Angehörigen der Toten und die Verwundeten sowie alle durch die Besetzung entstandenen Schäden von Frankreich.
Im Ruhrgebiet wird teilweise die Arbeit wieder aufgenommen, auch die Eisenbahn fährt wieder, ebenso ist die Telefonsperre aufgehoben. Die Versorgung mit Lebensmitteln ist jedoch immer noch extrem schlecht, und Berlin hat seit nunmehr sieben Wochen keine Kohlelieferungen mehr erhalten. Die Rotgardisten sind in großen Scharen nach Solingen und Remscheid im britisch besetzten Rheinland geflohen. Dort werden sie von den Briten entwaffnet und interniert.
Im belgisch besetzten linksniederrheinischen Gebiet protestieren SPD und USPD gegen den Einmarsch der Reichswehr auf der anderen Uferseite. Sie fordern die Regierung auf, alle Maßnahmen zur Verhütung des weißen Schreckens und zur Herbeiführung einer friedlichen Lösung zu treffen. Andernfalls habe man an einem „durch das reaktionäre Militär versklavten Deutschland kein Interesse mehr“.
Auch in Berlin stellen SPD, USPD und die Gewerkschaften ein 5-Punkte-Programm mit Forderungen an die Regierung auf. Darin fordern sie den Rückzug der Reichwehr und ein Vorgehen gemäß dem Bielefelder Abkommen, den Verzicht auf Aktionen südlich der Ruhr, die sofortige Bildung von Ortswehren im Ruhrgebiet, die Untersuchung der Vorgänge von Altenburg, Wilhelmshaven und allen anderen Orten, wo während des Putschs verfassungstreue Militärs im Nachherein Probleme bekommen und eine Reorganisation der Sicherheitswehren durch Einstellung organisierter Arbeitnehmer. Doch im bürgerlichen Lager will man noch nicht sehen, dass im Ruhrgebiet mehr vorgeht, als eine berechtigte Polizeiaktion der Regierung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Theodor Wolff nennt die Forderungen teils berechtigt, die nach dem Rückzug aus dem Ruhrgebiet aber eine Dummheit. Denn damit spielten sich Frankreich in die Karten, denn dann „würde der französische Militarismus sagen können, dass er abermals dem deutschen Volke seinen Willen aufgezwungen habe, und aus diesem Siegesstolz des französischen Militarismus würde unweigerlich, wie es so zu gehen pflegt, der deutsche neue Nahrung und Stärkung ziehen. … Niemals war es nötiger, die Welt davon zu überzeugen, dass nicht in Deutschland, sondern nur noch in Frankreich der militaristische Geist regieren darf.“ Immerhin räumt er ein, dass falls tatsächlich Truppenteile mit schwarzweißroten Fahnen und Hochrufen auf den Kaiser ins Ruhrgebiet einmarschiert seien, diese ein doppeltes Verbrechen begangen hätten. „Ein Verbrechen, indem sie die Arbeiterschaft aufreizen, und ein Verbrechen, indem sie den Franzosen das scheinbare Recht geben, die notwendige Polizeiaktion im Ruhrgebiet zu einem militaristischen Unternehmen zu entstellen. Wenn die Gewerkschaften und die Sozialdemokraten Sicherung gegen diesen alten Geist, demokratische Erneuerung der Reichswehr und Sicherheitswehr fordern, stimmen wir ihnen bei.“ Sein Kollege Erich Dombrowski dagegen kritisiert generell, dass die Gewerkschaften der Regierung Ultimaten setzen. Damit spiele sich eine Berufsgruppe als Nebenregierung auf und gäbe ein schlechtes Beispiel für andere. „Der Weg den die Gewerkschaften hier betreten, muss unweigerlich zu einem Kampfe aller gegen alle, zur Auflösung des Staatsgefüges und zur völligen Verneinung des demokratischen Gedankens und des Parlamentarismus führen.“