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Dienstag, der 18. November 1919
Nach dem tagelangen Vorgetöse sagt nun endlich Hindenburg vor dem Untersuchungsausschuss aus. Vor dem Gebäude empfangen ihn wieder Anhänger. Im überfüllten Saal hat jemand hat einen Chrysantemenstrauß mit schwarzweißroter Schleife auf seinen Platz gelegt. Zusammen mit ihm erscheint auch Erich Ludendorff. Bevor beide den Eid leisten, erklären sie, dass sie eine Aussagepflicht nicht akzeptieren. Anschließend strickt Hindenburg eifrig an der Dolchstoßlüge und lässt sich auch von zahlreichen Einwürfen des Vorsitzenden Gothein, keine Werturteile abzugeben nicht aufhalten. Nach einer Reihe glänzender, nie dagewesener Erfolge an zahllosen Fronten, anch einer Leistung von Heer und Volk, für die kein Lob groß genug sei, hätten Parteinteressen in der Heimat zu Versagen, Schwäche und Zersetzung und schließlich zur Niederlage geführt. „Ein englischer General sagte mit Recht: die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden. Wo die Schuld liegt, bedarf keines Beweises.“ Verfasst haben seine Rede Ludendorff und Karl Helfferich. Anschließend stellt Ludendorff all seine Aktionen als militärisch gerechtfertigt dar. Wenn eventuelle Friedenschancen vertan worden seien, so habe das in der Verantwortung der Reichsleitung gelegen. Er unterstellt dem damaligen USA-Botschafter Graf Bernstorff durch falsche Unterrichtung einen schwankenden Kurs verursacht zu haben und erklärt, sich durch dessen Aussage, er habe den Frieden nicht gewollt, in seiner Ehre verletzt zu fühlen.
Auch vor dem Reichstag kommt es zu Tumulten und Anhängern und Gegnern. Während linke Demonstranten Hindenburg und Ludendorff als Massenmörder beschimpfen, beschwören rechte Redner die baldige nationale Erhebung.
Die linksliberale Frankfurter Zeitung schreibt, Ludendorffs Vernehmung habe gezeigt, zu welch ungeheurem Hasser gegen die Männer fähig gewesen sei, die neben ihm an der Spitze des Reiches tätig waren. „Wir wissen es durch Ludendorff, durch Tirpitz, durch Bethmann und durch viele andere, dass in der Zone der weiteren Reichsleitung während des ganzen Krieges ein oft ganz leidenschaftlich geführter Kampf der Führer untereinander gewütet hat. Welche Fülle von persönlicher Unlust, von Argwohn, von Hass, ja sogar von offen zur Schau getragener Verachtung beschwerte doch die Zusammenarbeit der Reichsregierung, der Obersten Heresleitung, des Kaisers, der Marine! … Gerade die Entscheidenden hassten sich bis aufs Blut … Und diese Männer, die sich so sehr befehdet haben, verlangten unter der stereotypen Versicherung: die Einigkeit der Führenden ist vollkommen ,dass das Volk von all dem nichts merke und dass es selbst einig bleibe.“
Walther Rathenau erinnert sich im Berliner Tageblatt, an mehrere Begegnungen und Gespräche mit Ludendorff, den er anfangs unterstützte. Dabei habe er auch alle Argumente gegen den U-Boot-Krieg vorgelegt, worauf Ludendorff entgegnete, er sei anderer Meinung. „Gründe könne er mir nicht angeben, es sei sein inneres Gefühl, dasjenige Gefühl, das ihm auch für seine strategischen Maßnahmen entscheidend sei. …“ Er könne Ludendorff, der nach jedem Strohhalm griff, um seine Hoffnung auf einen Sieg nicht begraben zu müssen, sogar verstehen, räumt Rathenau ein. „Menschlich begreiflich, tragisch schön, politisch unmöglich. … Unterträglich aber ist es, wenn dem Volk die Schuld des verlorenen Krieges aufgehalst wird. Tuwwillig, ohne im mindesten den Sachverhalt zu prüfen, ist das Volk in den Krieg gezogen. Gutwillig hat es in seinen Leiden fünzig Monate lang sich an fünfzig Illusionen ketten lassen, von denen die letzten waren: in einem halben Jahr wird der U-Boot-Krieg England bezwingen, nie wird ein amerikanisches Heer den Kontinent betreten, Fochs Reserven sind verbraucht, die Offensive 1918 wird die Entscheidung bringen. … Nun regt sich bei den Besiegten der Unmut gegen jeden, der die Illusionen nicht teilte.“