Dienstag, der 21. Oktober 1919

In Berlin findet die erste öffentliche Sitzung eines Untersuchungsausschusses der Nationalversammlung statt, der untersuchen soll, ob es während des Krieges reelle Friedensmöglichkeiten gegeben hat. Als erster Zeuge berichtet der damalige Botschafter in Washington, Johann Heinrich von Bernstorff über seine Verhandlungen mit US-Präsident Woodrow Wilson und dessen Vertrauten Oberst House, über das Friedensangebot des Präsidenten vom 18. Dezember 1916, und die deutsche Entscheidung, den uneingeschränkten U-Boot-Krieg wieder aufzunehmen. Unter den Zuhörern ist auch Ex-Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg. Das Berliner Tageblatt moniert, dass der Saal mit drei Tischen für die Presse und fünf Reihen Stühlen für Zuhörern angesichts der Bedeutung des Ausschusses viel zu klein gewählt sei. Es gibt den Inhalt der Verhandlung während der folgenden auf mehreren Seiten wortgetreu wieder.

Am folgenden Montag konstatiert Theodor Wolff in seinem Leitartikel, das Ganze wirke verworren, sei eigentlich aber ganz klar. „Die ganze Gesellschaft der alledeutschen, konservativen, schwerindustriellen Weltüberwinder hatte, begleitet von einigen liberalen Trockenenthusiasten des Seekriegs, seit vielen Monaten so gerast, gedroht, gegen Wilson geschrieben, für den U-Boot-Krieg getrommelt und die öffentliche Meinung aufgepeitscht, dass Bethmann und die anderen nicht wagten, diesem Gebote der Volksstimme noch länger zu widerstehen.“ Wolff fordert, die Untersuchungen offensiver zu betrieben und von den Alliierten Beweise für die Schuld deutscher Verantwortungsträger zu fordern. Damit könne man politisch heiklen Auslieferungsverlangen, die der Versailler Friedensvertrag beinhaltet, zuvorkommen. Stimmen von recht, die solche Untersuchungen als Schande verurteilten, begegnet er mit dem Verweis auf Untersuchungen der siegreichen Franzosen, die nichts desto trotz die Verfehlungen einzelner Militärs vor Gericht stellten.

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