Dienstag, der 29. Oktober 1918

Wilhelm II. entzieht sich den Diskussionen um seinen Thronverzicht. Auf Anraten seines Adjutanten Hans von Plessen und dem Chef seines Militärkabinetts Ulrich Marschall verlässt er Berlin fluchtartig, ohne die Regierung zu verständigen, und reist ins militärische Hauptquartier, das sich noch immer in Spa befindet. Dort wälzt er Pläne, in denen ein Lieblingsinstrument seiner desaströsen Vorkriegs-Politik, die militärische Drohgebärde, wieder mal eine Hauptrolle spielt. Er malt sich aus, nach dem Waffenstillstand an der Spitze der Truppen im Reich einzuziehen und mit dieser Machtdemonstration, seinen Thron zu sichern.

 

Bei den in Wilhelmshaven stationierten Matrosen machen derweil Gerüchte über eine „Todesfahrt“ die Runde. Als am späten Abend tatsächlich der Befehl gegeben wird, das Lichten der Anker am nächsten Morgen vorzubereiten, bricht eine Meuterei aus. Auf sechs Schiffen davon allein drei des III. Geschwaders verweigern die Matrosen den Befehl. Teilweise werden Maschinen wie Ankerwinden zerstört und die Feuer unter den Kesseln gelöscht.

Das ausgerechnet die Marine, nicht das ebenfalls kriegsmüde Heer revoltiert, kommt nicht von ungefähr. Die Flotte war im Kaiserreich ungeheuer populär gewesen. Kaiser Wilhelm II. und Admiral Tirpitz hatten mit ihrer Begeisterung auch viele technikbegeisterte und abenteuerlustige Jungen aus den einfacheren Bevölkerungsschichten angesteckt, die auf den stolzen Schiffen die Welt sehen wollten. Unter den Matrosen hatte deshalb stets ein weniger elitäres Bewusstsein geherrscht als im Heer. Das jedoch hatte zu einer riesigen Kluft zwischen den Mannschaften und jenen Offizieren geführt, die aus den alten preußischen Eliten stammten. „O Jammer, weshalb mussten wir so schuftige, gewissenlose Offiziere haben, die uns alle Liebe zum Vaterland, die Freude am deutschen Wesen, den Stolz auf unsere vorbildlichen Einrichtungen genommen haben“, klagte Richard Stumpf, ein einstmals gut kaisertreu gesonnener Matrose, in seinem Tagebuch. Und an anderer Stelle: „Was kein Buch, keine Zeitung, kein Sozialist vermocht hat, das gelang dem System des Militärs. Ich habe diese verkörperte Autorität hassen gelernt wie nichts auf der Welt. Diese Autorität, die ihren Rückhalt nicht in der fühlbaren Überlegenheit, sondern einzig in der Furcht vor den Paragraphen des Militär-Strafgesetzbuches hat. August Bebel, ins Grab hinein rufe ich dir heißen Dank zu für alle deine Bemühungen zugunsten der armen bedrückten Soldaten!“

 

Auch der ehemalige Marineoffizier und erbitterte Gegner von Admiral Tirpitz‘ Flottenpolitik Lothar Persius wird später im Berliner Tageblatt detailliert schildern, wie Schikane und Ungerechtigkeit, sowie Unfähigkeit und Überheblichkeit der Offiziere dazu führten, dass gerade das „prächtige und leicht zu führende Menschenmaterial“ der Flotte die Revolution begann.

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.