Donnerstag, der 12. Dezember 1918

In der Roten Fahne fordert Rosa Luxemburg, die heimgekehrten Militäreinheiten durch die Berliner Arbeiterschaft zu entwaffnen, die Soldatenräte dem Revolutionsparlament zu unterstellen und die Soldaten umzuerziehen. Parallel dazu arbeitet sie an einem Programm für den Spartakusbund. Noch allerdings möchte sie von der Gründung einer eigenen linken Partei, die manche ihrer Kampfgenossen fordern, nichts wissen, sondern will vorerst unter dem schützenden Dach der USPD an radikaleren Umwälzungen arbeiten. Doch drei Tage später beschließt die USPD sich von den Spartakisten zu trennen.

 

Das Berliner Tageblatt schickt den österreichischen Journalisten Victor Schiff nach Neukölln, damals noch eine selbstständige Stadt mit 275.000 Einwohnern im Bereich des Verbandes Groß-Berlin. Von dort dringen immer wieder wilde Gerüchte über das Treiben des spartakistischen Arbeiter- und Soldatenrats in die Hauptstadt. Etwa, dass Hausbesitzer, Banken etc. entschädigungslos enteignet worden seien oder über dem Hauptportal des Rathauses eine Standarte mit der Forderung „Proletarier, aller Länder vereinigt euch“, angebracht sei. Schiff erklärt, die Berichte seien übertrieben. Zwar wäre das Rathaus tatsächlich mit Plakaten der Roten Fahne gepflastert und auch Beitragsformulare der USPD lägen dort aus. Aber die Enteignungen seien nur theoretisch erwogen worden, in der Praxis seien nur Mietsteigerungen verboten worden. Was es jedoch tatsächlich gibt, ist der Erlass, der Plünderungen und Zwangsvollstreckungen bei Kriegsteilnehmern und Kriegerwitwen verbietet, die ein Jahreseinkommen unter 5000 Mark haben. Was jedoch nicht heißt, dass es sie bei den reicheren gibt.

 

In Berlin ist die Volksmarinedivision mittlerweile durch den Zulauf arbeitsloser Ex-Soldaten und sozialistischer Arbeiter auf 3000 Mann angewachsen, und ist so manchem zum Ärgernis geworden. Seit den Tagen der Revolution sind die „roten Matrosen“ im Neuen Marstall und im Schloss einquartiert und hausen dort auf eine dem edlen Ambiente nicht zuträgliche Art. Der SPD-Politiker und preußische Finanzminister Albert Südekum, ein promovierter Nationalökonom aus Wolfenbüttel und seit jeher ein engagierter Wortführer der kompromissbereiten Partei-Rechten, giftet, das wertvollste Nationaleigentum sei einer Bande von Plünderern schutzlos preisgegeben. Und sein Pendant von der USPD, Hugo Simon, ist ausnahmsweise auf seiner Seite. Simon ist Bankier und engagierter Kunstmäzen und beschuldigt die Soldaten, wertvolle Kunstwerke gestohlen zu haben. Auch die OHL drängt darauf, die Formation aufzulösen. Die Regierung und Stadtkommandant Wels kommen überein, den „zuverlässigen Teil“ der Matrosen in die Republikanische Reichswehr zu integrieren, den anderen aber eine Abfindung zu zahlen und sie zu entlassen.

 

Daneben bleibt die Versorgungslage prekär. In den Zechen des Ruhrgebiets beginnen neue Streiks und in der Ostsee hat die englische Flotte inzwischen eine Sperre über die deutschen Häfen verhängt, so dass im Gegensatz zu den Kriegsjahren auch kein Handel mit Skandinavien mehr möglich ist.

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