Donnerstag, der 27. November 1919

Im Reichstag führen die geplanten Finanzreformen zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Deutschnationalen werfen Finanzminister Erzberger prinzipienloses und unmoralisches Gebaren und einen Bruch der Verfassung vor, da seine Gesetze die Finanzhoheit der Einzelstaaten und damit das Prinzip des Föderalismus verletzten. Erzberger, in kulturellen Dingen, leidenschaftlicher Föderalist, läst sich das natürlich nicht bieten und erklärt, ebendies sei der größte Vorzug des Gesetzes. „Solange ich Reichsfinanzminister bin, werde ich alles tun, um das deutsche Volk zum Einheitsstaat zu führen. Das deutsche Volk geht an der Zersplitterung zugrunde, es kann nicht genesen an 26 souveränen Ländern.“ Außerdem sei der Vorwurf gerade von deutschnationaler Seite Heuchelei, da in der Vergangenheit Preußen seine Beamte in alle Länder geschickt habe. „Eine Gewaltpolitik ist jahrhundertelang von Preußen getrieben worden.“ Auf deutschnationaler Seite provoziert er damit eine leidenschaftliche Verteidigung von Preußens Ehre. Ein teilweise raues Regiments Preußens „kann vor der Geschichte bestehen, denn es war getan im Kampfe für das deutsche Wesen, für die Größe des deutschen Vaterlandes. Und kein Minister und auch keiner aus Württemberg wird die ruhmreiche Geschichte Preußens herunterzerren und in den Augen der Welt entstellen.“

 

Mit mehr Einmut wird ein „Reichsnotopfer“ für Österreich beschlossen. Jedem Deutschen wird die Mehlzuteilung innerhalb der nächsten vier Wochen um insgesamt 200 Gramm gekürzt. Die eingesparten 12 Millionen Kilo gehen an den notleidenden Nachbarn. Darüber hinaus gibt es zahlreiche private Spendenaktionen „für die hungernden Kinder in Wien“.

 

Vertreter der Bevölkerung des Memellandes protestieren auf einer Versammlung in Berlin gegen die Trennung von Deutschland und Verwaltung durch den Völkerbund, die der Versailler Vertrag vorsieht. Sie unterstellen vor allem den Briten, dort ein zweites Gibraltar schaffen zu wollen. „Wir rufen die gesamte Kulturwelt auf zum Zeugen dieses Verbrechens gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Tatsächlich war die ursprüngliche Bevölkerung des Memellandes natürlich baltisch, nicht deutsch gewesen. Andererseits war die Eroberung durch den Deutschen Orden schon im 13. Jahrhundert erfolgt, die Angliederung an Ostpreußen im 14. Jahrhundert. So strebt auch nur eine Minderheit der baltischen, vorwiegend protestantischen Memelländer eine Angliederung an das katholische, wirtschaftliche rückständigere Litauen an.

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