Donnerstag, der 9. Oktober 1919

Immer noch ist die Ernährungssituation in Deutschland äußerst angespannt. In den Kreisen Ostprignitz und Neuruppin werden eine Feststellungskommissionen, die die Milch-, Butter- und Getreidevorräte untersuchen sollen, von den Bauern verjagt, Komissionsmitglieder aus der Bauernschaft bedroht. Der Verdacht, dass auf den Rittern- und Bauerngütern enorme Vorräte vorhanden sind, die der Bevölkerung vorenthalten werden, steigt.

In Berlin diskutiert unterdessen die Brotkartengemeinschaft, ob sie die Wiedereinführung von Kleingebäck wie der Schrippe wieder zuzulassen soll. Natürlich nur gegen Karte. Im Schleichhandel sind sie bereits jetzt für 50 Pfennig zu bekommen.

Die amtliche Stelle für Kartoffelanbau meldet eine außerordentlich schlechte Ernte in den östlichen Provinzen. Brandenburg etwa habe sehr unter der wochenlangen Trockenheit gelitten. Zudem seien bereits weniger Kartoffeln als in Friedenszeiten angebaut werden. Schuld seien vor allem der Verlust sehr agrarisch geprägter Gebiete und der Mangel an geeigneten Arbeitern. Der Versuch, städtische Arbeiter auf dem Land einzusetzen, sei grandios fehlgeschlagen. Die Städter seien teils arbeitsunfähig, teils arbeitsunwillig gewesen und hätten ihren Landaufenthalt teilweise dazu benutzt, die Landarbeiter kommunistisch aufzuwiegeln. Besonders schlimm seien die Arbeiter aus Hamburg gewesen.

Insgesamt betrage die Ernte so nur etwa die Hälfte der Friedensmenge, weswegen man die Zwangswirtschaft leider beibehalten müsse, obwohl wahrscheinlich nur die Preise auf einem freien Markt, die Bauern dazu bewegen könnten, mehr anzubauen. Auch versuche man, Kartoffeln aus Dänemark zu kaufen, was sich aber anstand der stetig an Wert verlierenden Währung schwierig gestalte.

Ein besonders knappes Gut in der beginnenden kalten Jahreszeit sind die Kohlen. In Berlin verlangen die Stadtverordneten Zeuner und Dittmer, dass die wegen des Mangels geschlossenen städtischen Volksbadeanstalten und Schwimmhallen sofort wieder geöffnet, und stattdessen Kinos, Bars, Kabaretts, Tanzlokale und Spielklubs geschlossen werden sollten.

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.