Freitag, der 15. November

Bereits seit dem 9. November haben sich in Berlin immer wieder Gewerkschaftsführer mit Vertretern der Großindustrie getroffen. Die von linker Seite geforderte Enteignung vor allem der Schwer- und Rüstungsindustrie hat die Unternehmer nervös gemacht. „Wir wollen froh sein, dass die Gewerkschaften in der Weise, wie sie es getan haben, sich noch bereit finden, mit uns zu verhandeln“, hat der Vorsitzende des mächtigen Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, Gerhard Ewald Hilger, konstatiert. Nur durch ein Abkommen mit ihnen, könne man Anarchie, Bolschewismus, Spartakusherrschaft und Chaos verhindern.

Auf der anderen Seite haben auch die Gewerkschaften kein Interesse an Arbeitskämpfen und einer Arbeitervertretung durch ein Rätesystem. Beide Seiten wollen schnell wieder möglichst ungestörte Produktions- und Arbeitsbedingungen herstellen. Als Ergebnis wird ein Arbeitsgemeinschaftsabkommen zwischen 21 Arbeitgeberverbänden und 7 Gewerkschaften bzw. Gewerkschaftsverbänden geschlossen. Die Gewerkschafter sagen zu, den Einfluss der Räte zurückzudrängen und sich gegen eine Enteignung zu stellen. Dafür gewähren die Unternehmer den 8-Stunden-Tag und erkennen die Gewerkschaften als alleinige Vertreter der Arbeitnehmerrechte an. In jedem Betrieb mit über 50 Mitarbeitern sollen Arbeiterausschüsse gebildet werden, die die Einhaltung der Tarifverträge überwachen. Außerdem soll es auf Verbandsebene paritätisch besetze Schlichtungsausschüsse geben und einen ebensolchen Zentralausschuss geben.

Die „Väter“ des Abkommens sind Hugo Stinnes und Carl Legien. Der aus Mühlheim an der Ruhr stammende Stinnes ist der schwerreiche Herr über ein Industriekonglomerat und einer der mächtigsten deutschen Unternehmer. Im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen, vor allem aus der Schwer- und Rüstungsindustrie, war er vor 1914 kein Kriegstreiber, sondern im Gegenteil an möglichst friedlichen, ruhigen Verhältnissen interessiert. Als ihn der Kriegsausbruch dann aber wichtige Geschäftsbereiche gekostet hatte, trat er für Annexionen in Belgien und den Einsatz belgischer Zwangsarbeiter ein. Gegenüber Kanzler Bethmann Hollweg äußert er unverblümt, der Preis des Sieges müsse den blutigen Opfern und wirtschaftlichen Schädigungen des Krieges entsprechen. Nachdem dies nun nicht mehr möglich ist, wird er politisch aktiv, um seine Interessen zu sichern. Dabei geht er unideologisch, aber auch rücksichtslos vor. Das TIME magazine wird später, als es ihm auch noch gelingt, zum Inflationsgewinner zu werden, über ihn schreiben. „Sein Ziel ist die Kontrolle der europäischen Stahlindustrien, und wie alle geheimnisvollen Figuren, die sich im Niemandsland der internationalen Politik bewegen, tritt er an, um zu gewinnen, gleich welche Seite die Oberhand behält.“ Carl Legien dagegen ist in einem ostpreußischen Waisenhaus aufgewachsen, gelernter Drechsler und über das praktische gewerkschaftliche Engagement zur Politik gekommen. Bereits seit 1890 ist er Vorsitzender der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands und seit 1913 auch des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Wie Ebert ist er ein Mann des Burgfriedens und des Ausgleichs mit den anderen gesellschaftlichen Kräften. „Die Sozialisierung einer durch die Kriegswirtschaft erschütterten und desorganisierten Volkswirtschaft ist nicht möglich“, ist er überzeugt. Mit dem Abkommen hat er erreicht, dass die Gewerkschaften erstmalig in Deutschland von den Unternehmern als Interessenvertreter der Arbeiterschaft anerkannt worden sind und zudem Kernforderungen durchgesetzt, um die die Gewerkschaften jahrzehntelang gerungen hatten. Die im Rahmen des Abkommens gegründete Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände Deutschlands“ wird in den ersten Jahren der Weimarer Republik die Wirtschaftspolitik zugunsten der Industriellen und Industriearbeiter beeinflussen – auf Kosten von Handel, Handwerk und Mittelstand. In Industriebereichen, die nicht von dem Abkommen betroffen sind, kommt es jedoch in den nächsten Wochen – Not hin, Versorgungsprobleme her – zu zahlreichen Streiks.

 

Auch der Rat der Volksbeauftragten trifft eine wegweisende Entscheidung. Er macht den liberalen, jüdischen Staatsrechtler Hugo Preuß zum Staatssekretär im Innenamt und überträgt ihm die Aufgabe einen Verfassungsentwurf für die deutsche Republik zu erstellen. Im Vorfeld war auch überlegt worden, die Aufgabe dem renommierten Max Weber zu übertragen, doch er stand der Revolution zu ablehnend gegenüber und war im Gegensatz zu Preuß auch von einer vollen Parlamentarisierung nicht überzeugt.

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