Samstag, der 16. November 1918

Aus Regierungskreisen wird die Absicht verkündet, am 2. Februar Wahlen zu einer Verfassungsgebenden Nationalversammlung durchzuführen. Philipp Scheidemann erklärt im Vorwärts, Deutschland brauche möglichst schnell eine ordentlich gewählte Regierung, die die Republik nach außen verhandlungsfähig und nach innen geschäftsfähig mache. Vor allem müsse unbedingt ein den inner- und außerdeutschen Gläubigern gegenüber rechtsgültiger Weg zu einer neuen Geldbeschaffung geschaffen werden.

Die USPD jedoch protestiert. Ihre Mitglieder in der Regierung wüssten von einem solchen Wahltermin nichts und es habe keine Beratungen gegeben. Viele in der Partei möchten die Wahlen zur Nationalversammlung so lange hinauszögern, bis es mit den Mitteln der Revolution gelungen ist, die Grundlage für eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu schaffen. In der neugegründeten USPD-Zeitung Die Freiheit warnt Rudolf Breitscheid: „Solange die infamen Abhängigkeitsverhältnisse bestehen, die die kapitalistische Produktion schafft, solange hilft die formale papierne Demokratie dem Proletariat einen Pappenstiel.“ In einem weiteren Artikel der Zeitung wird die sofortige Verstaatlichung der Bergwerke, sowie der Schwer-, Textil, Chemie-, Elektro-, Nahrungsmittel- und Leder-Großindustrie gefordert. Genau wie die Gegner von Sozialisierungen führen auch die Befürworter als Argument die Demobilisierung von 8 Millionen, nun Arbeit suchenden Soldaten und die angespannte Ernährungslage an.

Auch Teile die Hamburger Matrosen protestieren gegen alle Versuche „die Revolution in ein gemäßigtes Fahrwasser zu lenken. Der Hamburger Soldatenrat allerdings erklärt, hinter der Regierung zu stehen.

Auch die russische Regierung mischt sich ein. Sie fordert per Funkspruch die deutschen Revolutionäre auf: „Soldaten und Matrosen, gebt die Waffen nicht aus der Hand. Es gilt mit den Waffen in der Hand wirklich die Macht überall zu übernehmen und eine Arbeiter-, Soldaten- und Matrosenregierung mit Liebknecht an der Spitze zu bilden. Lasset euch keine Nationalversammlung aufschwatzen.“

In München erklärt der neue Ministerpräsident Eisner: „Wir sind Demokraten und Sozialisten. Wir verstehen unter Demokratie aber nicht, dass alle paar Jahre alle Bürger das Wahlrecht ausüben und dann die Welt regiert wird durch Ministerien und Parlamente. Wir, die wir eine neue Form der Revolution gefunden haben, werden versuchen, eine neue Form der Demokratie zu entwickeln. Wir wollen die ständige Mitarbeit aller Schaffenden in Stadt und Land. … Wir sind Sozialisten, das heißt, wir wollen die Hemmungen der wirtschaftlichen Ordnung beseitigen, die die Massen wie auch den einzelnen drücken und verhindern, dass jeder Mensch seine Gaben entfaltet und in verbürgter Sicherheit sein Dasein … von Idealen beglückt, zubringen kann. Wir rufen über unser Land hinaus zu den Völkern, die gestern noch unsere Feinde waren: Wir bekennen unsere Schuld und bahnen damit den Feinden den Weg zu innerer Verständigung und Versöhnung.“

Am nächsten Tag wird der Berliner Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrates beschließen, baldmöglichst eine Delegiertenversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte aus ganz Deutschland einzuberufen. Dieses Gremium soll entscheiden, ob eine demokratische oder eine Räte-Republik errichtet werden soll.

 

Ganz entschieden für möglichst schnelle Wahlen tritt das bürgerliche Lager ein. In der Morgenausgabe des Berliner Tageblatt erscheint ein Aufruf, eine neue starke, liberale Partei zu gründen. Er ist von Chefredakteur Theodor Wolff und 60 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Albert Einstein oder Minna Cauer unterzeichnet. Die Zersplitterung zwischen Deutscher Fortschrittspartei und Nationalliberaler Partei soll überwunden und dem liberalen Lager angesichts der Umwälzungen eine starke Stimme gegeben werden. Zu den treibenden Kräften gehören neben Wolff der neue Innenstaatssekretär Hugo Preuß, der Soziologe Max Weber und sein Bruder Alfred, aber auch Hjalmar Schacht, der spätere Reichsbankpräsident und NS-Wirtschaftsminister.

 

Auch bei den Konservativen gibt es Verhandlungen über einen Zusammenschluss. Doch die Gräben sind tief. Die Deutschkonservativen, die Partei der kaiserzeitlichen Eliten wie Militärs, Großgrundbesitzer und höhere Beamte, hat bereits viele Mitglieder an die radikale Deutsche Vaterlandspartei verloren. Die wirtschaftlich expansionistische „freikonservative“ Deutsche Reichspartei dagegen verliert sowohl an die Vaterlandspartei wie an nationalliberale Deutsche Volkspartei von Gustav Stresemann. Während die Deutschkonservativen größtenteils monarchistisch bleiben, trauern andere rechte Kräfte dem Kaiserreich nicht wirklich hinterher. So hat die Deutsche Tageszeitung schnell ihren Untertitel „Für Kaiser und Reich“ getilgt. Chef-Leitartikler Ernst zu Reventlow, Bruder der Skandalgräfin Fanny, erklärt, man dürfe sich nicht im unklaren sein, dass das monarchische System endgültig verschwunden sei. Umso mehr müsse man den national-deutschen Gedanken pflegen. Die liberale Presse mokiert sich darüber, dass gerade ein hervorragender Vertreter des alldeutsch-imperialistischen Gedankens die monarchische Idee wie alten Plunder fortwerfe. Wie viele andere Alldeutsche schließt sich auch Reventlow später den Nationalsozialisten an.

 

Aus Baden meldet sich noch einmal der ehemalige Reichskanzler Prinz Max und rechtfertigt seine Politik. Unter anderem stellt er öffentlich klar, dass er das Waffenstillstandsgesuch eigentlich diplomatisch hätte vorbereiten wollen, doch die militärischen Autoritäten hätten darauf beharrt, dass das Gesuch binnen 24 Stunden abgegeben werden müsse.

Ex-OHL-Chef Ludendorff aber verlässt mit einem falschen finnischen Diplomatenpass das Land. Ebert ist eingeweiht und froh, den General los zu sein. Denn das entbindet ihn von der Pflicht den verhasstesten Repräsentanten des alten Systems vor der Wut der Revolutionäre schützen zu müssen, die immer wieder Drohungen gegen ihn ausgestoßen haben. Ludendorff bleibt bis Ende Februar 1919 bei einem schwedischen Bekannten und beginnt seine Kriegserinnerungen zu schreiben. Aber er droht wieder zu kommen. „Dann gibt’s kein Pardon. Mit ruhigem Gewissen würde ich Ebert, Scheidemann und Genossen aufknüpfen und baumeln sehen!“

Das neue preußische Kultusministerium dagegen will den Krieg vor allem aus Kinderköpfen verbannen. Es fordert, aus den Schulbibliotheken alle Bücher zu entfernen, die den Krieg verherrlichen. Auch im Unterricht werden tendenziöse Darstellungen des Weltkriegs, Volksverhetzung und Förderung der Gegenrevolution verboten. Nichtchristliche Kinder sollen bis zur endgültigen Trennung von Kirche und Staat vom Religionsunterricht freigestellt werden.

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