Freitag, der 20. Dezember 1918

Der Rätekongress geht in seine letzte Runde. Doch nach der gestrigen Richtungsentscheidung ist das Interesse abgeflaut. Auf der Regierungsbank sitzen zunächst nur Wilhelm Dittmann und Emil Barth, Philipp Scheidemann und Hugo Haase kommen immerhin später nach. Unter den Delegierten fehlen viele USPD-ler und die radikalen Linken haben sich ganz verabschiedet. Dabei noch ein Thema auf der Tagesordnung, das gerade ihnen ein zentrales Anliegen ist, während die SPD am liebsten gar nicht darüber verhandelt hätte, das der Sozialisierungen. Doch der USPD-Finanzexperte Rudolf Hilferding redet so leise und undeutlich, dass er kaum verstanden wird, der vorgesehene Co-Referent Georg Ledebour ist trotz des vorherigen Prahlens mit seiner Durchhaltekraft an einem Katarrh erkrankt. Also springt mal wieder der unverwüstliche Emil Barth für die Linke in den Ring und erklärt in einer mitreißenden Rede, die Sozialisierung zur Frage der Fragen der Gegenwart. Ohne Aussicht auf Sozialisierung sei die Masse der Arbeiter nicht weiter in den Betrieben zu halten. Die Mehrheit der Delegierten sieht das ähnlich und beschließt, dass die Sozialisierung der dafür geeigneten Industrien, vor allem aber des Bergbaus, eingeleitet werden soll. Außerdem werden der Achtstundentag für Bergarbeiter und die Festsetzung von Mindestlöhnen beschlossen.

 

Zum Eklat kommt es noch einmal, als Philipp Scheidemann ans Rednerpult tritt, einer der erklärten Feinde der Linken, für die die Mehrheitssozialisten seit Kriegszeiten nur die „Scheidemänner“ sind. Er wird mit Rufen wie „Kriegshetzer“, „Volksverräter“, „Lump“ und „Schuft“ und einem schrillen Pfeifkonzert begrüßt, worauf das Regierungslager mit umso lauterem Beifall reagiert. Doch Scheidemann ist dergleichen gewohnt. Auf den Ruf „Erst muss Scheidemann weg“ kontert er „In einer halben Stunde gehe ich sowieso zum Essen“, weitere Zwischenrufe wartet er mit Pausen ab und erklärt dann, er werde trotz eines guten Organs darauf verzichten, den Kampf gegen die Brüller aufzunehmen. Er prangert dann die vorangegangenen Schlammschlachten an. „Herausgekommen ist höchsten eine neue Zuspitzung der gegenseitigen Abneigung, jedenfalls hat die Arbeiterbewegung gar nichts dabei gewonnen.“

Danach geschieht noch Historisches: Ans Rednerpult schreitet die Danziger USPD-Delegierte Käthe Leu – unfein begrüßt von einem, aber eben nur einem Pfiff: „Dass zum ersten Mal in einem deutschen Parlament eine Frau das Wort ergreift“, erklärt sie, „das ist wohl ein Beweis der neuen Zeit.“ Sie fordert „mit einer bemerkenswerten Fertigkeit“ – wie ihr das Berliner Tageblatt bescheinigt – die Zeit zu den Wahlen mit einem Werben für den Sozialismus zu füllen, vor allem auch die „großen Massen der noch indifferenten Frauen“ damit vertraut zu machen. „Ihr habt die Macht“, ruft sie schließlich den anderen Delegierten zu, „aber nur wenn ihr einig seid!“ Dafür erhält sie stürmischen Beifall, wie das Protokoll vermerkt.

 

Auch der Russland-Korrespondent des Berliner Tageblatts Hans Vorst (bzw. Carl Johann von Voß) bedauert, dass es zu keiner Wiedervereinigung von SPD und USPD gekommen ist, wie sie Eduard Bernstein im Rahmen des Rätekongresses verlangt hatte. Er sieht im aktuellen Parteiengefüge keinen Platz mehr für die USPD. Er spricht von einer nervösen und schwankenden Angstpolitik, „abwechselnd von der Gefahr, bald dem schwarzen Mann Spartacus bald wieder dem Popanz Scheidemann allzusehr zu gleichen.“ Und das sage er vor dem Hintergrund, dass ihn mit der USPD mehr als mit der SPD verbinde. Während des Krieges habe er die Politik der Unabhängigen stets für weitaus klarer, konsequenter und richtiger gehalten. Jetzt aber gehe es um andere Dinge, nämlich um eine soziale Politik und da sei es „theoretisch und praktisch unmöglich, die Fortdauer der Parteispaltung auf die Länge mit Meinungsverschiedenheiten darüber zu begründen, ob die Nationalversammlung vier Wochen zu früh zusammentrete oder nicht, mit graduellen Unterschieden der Taktik und der Tonart, mit den verflossenen Sünden der ‚Scheidemänner‘.“ Wenn den USPD-Politikern die SPD nicht sozialistisch genug sei, dann täten sie besser daran, innerhalb dieser für mehr Sozialismus zu kämpfen. Das Verhältnis der beiden Parteien aber sei unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine Sache von allgemeiner Bedeutung, da von ihr die Stabilität des Reiches abhänge.

 

Für Ebert endet der Reichsrätekongress mit unliebsamen Besuch. OHL-Chef Groener und sein enger Mitarbeiter Kurt von Schleicher, der spätere Reichskanzler, machen ihm wegen der getroffenen Beschlüsse die Hölle heiß. Demonstrativ tragen sie dabei ihren Uniformen mit allen Orden, was gemäß Beschluss, außer Dienst untersagt werden soll. Ohne ihre Unterstützung wäre seine Regierung nichts, machen sie ihm klar. Der ebenfalls anwesende Emil Barth würde Groener am liebsten verhaften und besteht darauf, dass die Beschlüsse unverzüglich umgesetzt werden müssen. Auf einer gemeinsamen Sitzung von Kabinett und Zentralrat schlägt Ebert vor, den seiner Meinung nach überstürzt gefassten Beschluss dahin zu ändern, dass er nur für das Heimatheer, nicht für das Feldheer gelten soll, und zudem auch erst nach der Erarbeitung von Ausführungsbestimmungen umgesetzt werde. Wilhelm Dittmann erwidert, dass damit der wichtigste Beschluss des Kongresses null und nichtig werde. Am Ende setzt sich jedoch Ebert durch. Die geplanten Ausführungsbestimmungen werden am 19. Januar 1919 vom preußischen Kriegsminister erlassen und folgen in den Kernbereichen, vor allem bei der freien Offizierswahl, dem Kongressbeschluss nicht. Groener sagt später von Ebert, der habe sich wie kaum einer auf die „Kunst des Abbiegens“ verstanden. Aber auch die OHL „biegt ab“. Sie weist die Generalkommandos an, die Beschlüsse des Rätekongresses nicht umzusetzen.

 

Die katholischen Bischöfe Preußens rufen in einem Hirtenbrief zum Widerstand gegen die „antichristliche Politik“ der Regierung auf.

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