Freitag, der 26. März 1920

Die Querelen um die Kabinettsumbildung enden mit einem Paukenschlag. Kanzler Bauer ersucht um die Entlassung des ganzen Kabinetts. Reichspräsident Friedrich Ebert beauftragt seinen Parteigenossen Hermann Müller mit der Bildung einer neuen Regierung. SPD, DDP und Zentrum sind jedoch gewillt, eine neue Koalition zu bilden, was letztendlich auch gelingt. Eugen Schiffer entscheidet sich nach Beratungen mit Müller, nicht mehr für einen der Ministerposten zur Verfügung zu stehen, um neue Streitigkeiten zu vermeiden. Er wird als Vizekanzler durch seinen Parteigenossen Erich Koch-Weser ersetzt. Der umstrittene Wilhelm Cuno wird (noch) nicht Mitglied der Regierung. Das Schatzministerium übernimmt Ex-Kanzler Bauer, das Ministerium für Wiederaufbau wird aufgelöst.

Auch das preußische Kabinett tritt zurück, nachdem kurz zuvor noch Carl Severing zum neuen Innenminister ernannt worden war. Hintergrund ist hier eine Vereinbarung zwischen SPD und USPD, gemeinsam einen Neuanfang zu versuchen. Auf der to-do-Liste stehen: die Auflösung aller konterrevolutionären Formationen, die Bestrafung aller Putschisten, die Aufhebung des Ausnahmezustands, die weitgehende Sozialisierung des Großgrundbesitzes, die Sicherung der Lebensmittelversorgung, der Ausbau der sozialen Gesetzgebung, Frieden mit Russland. Doch schon am nächsten Tag wird auch in Preußen ein neues Kabinett vorgestellt, dass auch hier aus den drei bisherigen Regierungsparteien besteht. Neuer Ministerpräsident wird Otto Braun, der in seiner Antrittsrede eine schnelle, rücksichtlose und unbarmherzige Bestrafung der Putschisten und ihrer heimlichen Unterstützer in Aussicht stellt und die Mitschuld der rechten Parteien und ihrer Presse anprangert.

Währenddessen treffen sich rund 1000 USPD- und KPD-Betriebsräte unter Führung von Ernst Däumig in der Berliner Brauerei Bötzow und beraten über die Einberufung eines neuen Reichsrätekongresses. „Denn eine Regierung nach der alten Schablone kann den Arbeitern nicht die Konzessionen machen, die sie verlangen dürfen und Müssen. Nur eine sozialistische Regierung wird imstande sein, die Zügel in die Hand zu nehmen und der militärischen Hydra die Köpfe abzuhauen.“ Um das zu erreichen, weil man in einen neuen Generalstreik treten, der erst beendet werden soll, wenn nicht nur der Reichsrätekongress einberufen wurde, sondern auch alle konterrevolutionären Truppen und bürgerlichen Einwohnerwehren entwaffnet und stattdessen Arbeitermilizen gebildet worden sind.

 

Im Berliner Tageblatt darf sich Generalmajor von Seekt, der neue Chef der Heeresleitung, erklären: Er nennt den Putsch unverantwortlich und dumm. Im Ruhrgebiet habe der Kapp-Putsch eine lang vorbereitete kommunistische Aktion losgetreten. „Es besteht dort eine Rote Armee wie in Russland, die gut ausgerüstet und geführt ist. Sie werfen Schützengräben aus, sie verwerten alles, was sie im Kriege gelernt haben.“ In den anderen Gebieten des Reiches seien die Dinge nicht so schlimm und es bestehe keine gründlich organisierte, kommunistische Bewegung. „Ein großer Teil der Arbeiterschaft war einzig und alleine zu dem Zwecke aufgestanden, um die Verfassung zu verteidigen. Wir durften das nicht vergessen und mussten darauf Rücksicht nehmen.“ Um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, müsse man aber nun nicht nur auf die Gefühle der Arbeiterschaft Rücksicht nehmen, sondern auch auf die der Truppen, was ein gewisses Lavieren bedeute. Ausführlich schildert er das Trauma, das Krieg und Kriegsende bei den Soldaten ausgelöst haben. „Besonder die älteren Offiziere, aber auch viele andere, rein monarchistisch erzogen, politisch ganz ungeschult, unverantwortlich verhetzt und verleitet von der rechtsstehenden Presse, von der linken übertrieben angegriffen. Aus diesem Milieu heraus ist es allein erklärlich, dass eine solche Bewegung ausbrechen konnte. Bei den einen politischer Unverstand und nur der kindliche Gedanke: ‚jetzt wird’s besser‘. Bei den anderen eine wahnsinnige Desperadopolitik.“ Seeckt nennt die von den Alliierten verlangte 100.000 Mann-Armee ein Söldnerheer. Ein solches aber bilde immer eine Gefahr im Staat, „ob es rot ist oder nicht, es wird immer emand geben, der die Leute hinter sich bekommt, mit der Faust auf den Tisch schlägt und die Ordnung über den Haufen wirft. … „Ein Heer ist nur dann ungefährlich, wenn es einen integrierenden Teil der Volksgemeinschaft darstellt.“ Er fordert deshalb auf, dass die künftige deutsche Armee wenigstens aus allen Schichten der Bevölkerung zusammengesetzt werde und außerdem verjüngt werde, da viele der älteren Männer nicht aus ihren tradierten Vorstellungen heraus könnten. Außerdem solle die Haltung der Offiziere während der Putschtage geprüft werden und jeder, der gegen seine Pflicht handelte, entfernt werden. Die anderen solle man nicht politisieren, aber poliitsch aufklären. „Man muss ihnen klar machen, dass für Deutschland nur eine ruhige, demokratische Entwicklung möglich ist. Man muss auf den Ausgleich aller Standesinteressen hinwirken, soweit das geht. Wenn dann auch auf der anderen Seite guter Wille und Verständnis für die ganze Situation gezeigt wird, werden wir vorwärtskommen. In dieser ganzen Frage aber dürfen wir nie unterlassen, auch an das Ausland zu denken. Nur eine ruhig fortschreitende, demokratische Entwicklung Deutschlands kann uns eine achtungsgebietende Stellung in der Welt wiedergeben.“ Soweit, so staatstragend! Seeckt spielt jedoch in der folgenden Zeit eine äußerst merkwürdig ambivalente Rolle. Er stellte sich nicht direkt gegen die Republik, doch er setzte all sein beträchtliches militärisch-organisatorisches Talent ohne irgendwelche Rücksichten für den Aufbau einer möglichst starken, gut organisierten Armee ein – einer, die im Geheimen wesentlich stärker war als der Versailler Vertrag erlaubte. Und in dieser Grauzone wuchs auch der Faschismus heran.

 

Vor dem Restaurant „Aussichtsturm“ in Berlin-Hirschgarten stirb der Liebknecht-Luxemburg-Mörder Heinz von Pflugk-Harttung, der auch am Kapp-Putsch teilgenommen hat und in Köpenick und Friedrichshagen Erschießungen vorgenommen hat, als einige Handgranaten in seinem Auto explodieren.

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