Christa Pöppelmann > November 1918 > Freitag, der 31. Oktober 1919
Freitag, der 31. Oktober 1919
Im Untersuchungsausschuss zur Kriegsschuld sagt der frühere Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg aus. Wieder berichtet das Berliner Tageblatt über mehrere Seiten hinweg. Bethmann Hollweg erklärt, dass es im Winter 1916/17 seiner Ansicht nach keine ernsthafte Aussicht gegeben habe, Frieden zu schließen, da die Kriegsgegner dazu nicht bereit gewesen seien. Und der allgemeine Glaube, mit einem uneingeschränkten U-Boot-Krieg die Briten binnen weniger Monate mürbe und verhandlungsreif zu machen, sei allgemein so verbreitet gewesen, dass er wegen seine diesbezüglichen Skepsis heftig angefeindet worden sei. „Am 9. Januar [1917] war es schlechterdings unmöglich, zu sagen: Nein, der U-Boot-Krieg wird nicht gemacht, ich stehe dafür, dass wir demnächst zu Friedensverhandlungen kommen. Ich hatte auch nicht das Vertrauen, dass es Wilson gelingen würde, die Entente zur Aufgabe ihrer exorbitanten Kriegsziele zu bringen.“ Im Grund, so urteilt das Tageblatt, habe die Aussage nicht viel Neues ergeben. Der Ex-Kanzler sei guten Willens, aber viel zu schwach und Spielball der Militärs gewesen.
Theodor Wolff schieb in seinem nächsten Leitartikel nach, Bethmann Hollwegs eigentliche Schuld läge nicht in seiner Schwäche während des Krieges, sondern „in den Julitagen des Jahres 1914“ als er die „Drachensaat“ gesäät habe, aus der die verhängnisvolle Allmacht der Militärs entstanden sei, gegen die er denn im Krieg kein Mittel gefunden habe. Wolff fügt dann seine eigenen Erkenntnisse an, wie nach der Niederlage an der Marne am 12. September 1914, im Grunde kaum noch jemand an ein siegreiches Kriegsende glaubte. „Der einzige Gedanke im Hauptquartier war. Die Heimat darf ncihts erfahren, keine Andeutung über den Schicksalsumschwung darf in die Öffentlichkeit dringen – und während die ganze Welt nur von der Manre sprach, im letzten Winkel der bewohnten Erde die Leute vor Karten sich drängten, wurde das deutsche Volk, wie es nie ienem kriegsführenden Volke geschehen sein dürft,e in Ahnungslosigkeit gehalten, gegängelt und getäuscht. Erinnert es sich noch an das, was dann geschah? An den Kindermord von Ypern, wo die Studenten und Primaner, diese sonnigen begeisterten Knaben, die ein Lied auf den Lippen und den Kinderglauben im Herzen trugen, frevelhaft ohne Ziel und Zweck, in das Mordrevier hineingeworfen wurden.“
Die Magdeburgische Zeitung fordert, auch den Chef der militärischen Nachrichtenabteilung, Walter Nicolai, als einen Hauptschuldigen für die kriegstreiberische Stimmung, vorzuladen.