Mittwoch, der 3. Dezember 1919

In der Nationalversammlung stellt Finanzminister Erzberger ausführlich die eingeleiteten Maßnahmen und Gesetzentwürfe vor, mit denen er hofft, die Reichsfinanzen wieder ins Lot zu bringen. „Es sind schwere, fast allzu schwere Lasten, welche von unserem Volke in Zukunft getragen werden müssen“, gibt Erzberger zum Schluß seiner Rede zu.Wir müssen uns bei dieser Reform klar sein, dass wir in eine neue Zeit hineinwachsen. Ein überspannter Individualismus hat in der Vorkriegszeit den Eigentumsbegriff verzerrrt, das Recht auf Eigentum maßlos betont, aber die Pflichten und Grenzen des Eigentums vielfach nicht scharf genug hervorgehoben. … der Eigentumsbegriff überschreitet seine Grenzen, solbad eine übermäßige Akkumulation des Besitzes erfolgt, sobald sich eine übermächtige Plutokratie aufbaut, die breiten Schichten des Volkes, diese eigentlichen Träger der nationalen Entwicklung nicht mehr in entsprechenden Maße an der allgemeinen Wohlstnads- und Kulturentwicklung beteiligt werden. … Die Grenzen des Eigentumsbegriff sind ferner überschritten, wenn die herrschenden Klassen ihre Macht benutzten, die Hauptlasten auf die Schultern der weniger Leistungsfähigen zu laden. … Mit kurzen Worten gesagt: das Privateigentum findet seine Begründung, aber auch seine Begrenzun durch das Sozialinteresse. … Das muss auch der Leitgedanke bei der Steuerreform sein. … Es ist notwendig, dass jeder einzelen von dem Bewusstesein getragen ist: Nur wenn das Volksganze wieder gedeiht, ist auch mein individuelles Wohl gesichert. … Nur die fleißige, zielbewusste Arbeit kann uns herausführen aus dem Elend der Gegenwart, nur sie kann die Wunden heilen, die der Krieg geschlagen. Darum muss die werktätige Arbeit des gesamten Volkes in der Besteuerung so wiet als nur irgend möglich berücksichtigt werden, indem ihre Belastung so eträglich, als es unter den gegebenen Umständen nur möglich ist, gehalten wird. Der Besitz aber muss sich darüber klar sein, dass er entsprechend seiner höheren Leistungsfähigkeit auch ein viel größeres Maß an Lasten übernehmen muss.“

Doch „der Besitz“ ist der Meinung, zu stark belastet zu werden. In den Fokus der Kritik gerät das Reichsnotopfer. Alle Sach- und Geldvermögen über einem Betrag von 5000 Mark sollen progressiv (von 10 auf 65 Prozent steigend) besteuert werden. Viele befürchten, dass die Einnahmen am Ende in den Kassen der Alliierten landen. Erzbergers Versicherung, das Gesetz zurückzuziehen, sollten die Erträge aus dem Ausland beschlagnahmt werden, wird kein Glaube geschenkt. Bei der Lesung im Reichstags kommt es zu tumultartigen Szenen. „Wenn doch einmal das deutsche Volk an die Kette wirtschaftlicher Sklaverei gelegt werden soll“, tobt der Deutschnationale Alfred Hugenberg, „dann machen Sie es doch offen. Dann lassen Sie, Herr Erzberger, den Feind doch lieber gleich das Ruhrgebiet besetzen.“ Danach kann Hugenberg jedoch nicht weitersprechen, sondern wird von Anhängern der Regierung derart niedergeschrieen, dass Vizepräsident Haußmann die Sitzung unterbricht.

 

„So viel laute Ungeschicklichkeit, so viel aufreizender Hochmut, so viel protzende Unwahrhaftigkeit waren selten vereint“, kommentiert Theodor Wolff Hugenbergs Auftritt. Doch vor allem nimmt er sich Erzberger vor, dem er jegliche Wirtschaftskompetenz abspricht. Erzberger sei wie eine Boje, die alle Stürme über die Wellen hüpfend übersteht, ein Fanatiker der Politik, der lieber Vizekanzler, denn Minister hätte werden sollen, denn als Vizekänzerl hätte Erzberger sein Temperament, seine Schlagkraft und seine unbestreitbare Rührigkeit für von Fachministern durchdachte sorgfältig ausgearbeitete, nüchtern durchdachte Pläne verwenden können. Sein Reichsnotopfer jedoch gestatte allen Schiebern in den kommenden Jahren neuen Reichtum anzuhäufen, ohne etwas davon zu opfern, belaste aber den ehrlichen Kaufmann über Gebühr. Bei seiner Generalabrechnung mit dem Finanzminister wirft ihm Wolf auch noch seine Rolle beim Versailler Friedensschluss vor: „Heute noch könnte man das Gruseln lernen bei dem Gedanken, dass er damals mit seinen paar französischen Vokabeln und seiner Gemütlichkeit den Salonwagen des Marschall Foch betrat. Während der Tragödie von Versailles war er in Berlin das Haupt un der leuchtende Mittelpunkt jener buntgemischten Gesellschaft, die jedem Sendling der Entente beruhigend erklärte, wir würden zur Unterzeichnung aller Bedinungen bereit und genötigt sein. Infolgedessen wurde nicht, wie es jetzt in Paris geschieht, ein Teil der Forderungen gestrichten, sondern der Giftbecher wurde uns gefüllt bis zum Rande kredenzt.“ Damit ist Wolff nicht mehr weit von den Vorwürfen entfernt, die Erzberger von der radikalen Rechten gemacht werden.

Doch auch die Wirtschaft macht gegen das Reichsnotopfer mobil. Man sei sich bewusst, dass das Kapital Opfer bringen müsse, doch es werde zuviel verlangt. Das Reichsnotopfer werde die kranke Wirtschaft nicht heilen, sondern stark schädigen, vielleicht ertöten, meint etwa Franz von Mendelssohn Präsident der Handelskammer. In einer Resolution der Handelskammer heißt es: „Das Reichsnotopfer in Verbindung mit den übrigen Besitz und Einkommen schwer belastenden Steuerplänen der Regierung wird den Wiederaufbau Deutschladns unmöglich machen.“ Handel und Industrie würden die Mittel entzogen, mit denen allein Arbeitsgelegenheit, Brot, Zahlungsmittel und Aufbaumöglichkeiten geschaffen werden könnten. Das Betriebskapital werde zum großen Teil weggesteuert.

Auch das Berliner Tageblatt, das von vielen Besserbetuchten und Unternehmern gelesen wird, bringt immer wieder Einwände. Stammkolumnist Georg Gothein, einst selbst Reichsschatzminister,  zwar den Übergang zu reichweit gleichen, direkten Steuern in Erzbergers Novelle – der alten Forderungen der Liberalen entspricht – findet aber auch, mit dem Notopfer würde Erzberger den Unternehmern zuviel aufbürde. Nationalökonom Lujo Brentano kritisiert, dass nicht nicht zuallerst Maßnahmen gegen die grassierende Inflation ergriffen werden, sondern stattdessen immer neue Noten in Umlauf gesetzt werden. Mit seiner stetig fallenden Währung könne Deutschland die benötigten Ressourcen wie etwa Brotgetreide nicht im Ausland kaufen. Das Volk sei also zu weiterem Hungern gezwungen, da die heimische Ernte – zumal nach dem Wegfall von Posen und Westpreußen – nicht reiche. Exporte billiger deutscher Güter aber würden zunehmend von Schutzzöllen verhindert. So sei gerade in England ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht worden, der die heimische Wirtschaft vor deutschem Dumping bewahren solle.

Das Reichsnotopfer müsse deshalb unbedingt zur Hebung der Währung verwendet werden. Zuvor aber müsse Deutschland von der Entente Garantien erhalten, dass die Einnahmen nicht zur Deckung der Reparationen gemäß dem Versailler Friedensvertrag beschlagnahmt würden. Auf einer Konferenz zur Bekämpfung des Hungers in Europa in London hat Brentano bei den Briten für eine solche Zusage geworben. Denn ersten würde dann die Schädigung der einheimischen Wirtschaft durch zu billige deutsche Güter aufhören, zweitens könne letztendlich nur eine gesunde deutsche Wirtschaft die Reparationsleistungen bewältigen.

 

Und vor einem Kriegsgericht beginnt der Prozess gegen Oberleutnant Otto Marloh, der im Rahmen der Märzunruhen am 9. März 1919 24 Angehörige der Volksmarinedivision hat erschießen lassen. Bereits in der Anklage wird ihm nicht Mord, sondern nur „Tötung ohne Überlegung“ vorgeworfen.

In der Verhandlung, die vom Berliner Tageblatt, deren Protokolle vom Berliner Tageblatt wieder seitenweise abgedruckt werden, erklärt Marloh, dass er den Befehl erhalten habe, die Männer der Volksmarinedivision unter dem Vorwand, ihnen ihre Löhnung auszuzahlen festnehmen sollte. Währenddessen sei ein gewisser Leutnant Wehmeyer, sein Vetter, dazugekommen und habe ihm den Befehl übermittelt: „Du sollst 150 Mann von den Matrosen erschießen. Du sollst erschießen, was du irgendwie erschießen kannst!“ Dies habe ihn sehr erschüttert, er habe dann 30 Mann zur Erschießung herausgesucht und zwar solche, die Waffen bei sich hatten, Widerstand leisteten oder besonders wertvolle und folglich gestohlene Sachen bei sich getragen hätten. Ein Hauptmann Gentner habe dabei versucht, ihn überhaupt von Erschießungen abzuhalten, indem er sich dafür verbürgte, dass die Volksmarineleute zur besonders zuverlässigen früheren Bewachung der Reichsbank gehörten. Doch er habe seine Befehle gehabt. Anschließend habe er einen Bericht gefertigt. Mitte März habe ihn dann Oberleutnant Eugen von Kessel Adjutant von Freikorpsführer Wilhelm Reinhard und Polizeihauptmann von Berlin, aufgefordert, im nationalen Interesse einen zweiten Bericht zu schreiben, indem er den Befehl verschweige, und erklärte, er habe aufgrund Noskes Schießbefehl (gegen mit der Waffe kämpfend Angetroffene) auf eigene Initiative gehandelt.

Im Verlauf der weiteren Verhandlung erklärt Oberst Wilhelm Reinhard, er sei von General Lüttwitz beauftragt worden, die Löhnung der Volksmarinedivision zu verhindern. Als er Meldungen erhalten habe, dass Marlohs Lage aufgrund von mehr als 300 erscheinenden Matrosen prekär sei, habe er Befehl zum Rücksichtslosen Durchgreifen und Waffengebrauch gegeben, aber keine Erschießungen befohlen. Von einem gefälschten Bericht wisse er nichts. Auch Oberleutnant Kessel erklärt, er habe Marloh keine Erschießungen befohlen, aber rücksichtloses Vorgehen befohlen, „und wenn 150 dabei liegen bleiben sollten“. In der Nacht habe er Marloh kreidebleich und in größter seelischer Erregung angetroffen. Er habe gesagt: „‚Die Sache ist furchtbar gewesen.“ Sowohl Reinhard wie Kessel geben an, dass sie damals die Information hatten, dass die Volksmarinedivision Verrat begangen habe und im Begriff sei, sich illegal wiederzugründen.

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