Christa Pöppelmann > November 1918 > Mittwoch, der 9. Oktober 1918
Mittwoch, der 9. Oktober 1918
Endlich trifft – wieder über den Umweg Schweiz – die ersehnte Antwort aus den USA ein. Die Note ist von Außenminister Robert Lansing unterzeichnet. Lansing ist ein Hardliner. Er war es, der Präsident Wilson 1917 – gegen die Ansicht des damaligen Außenministers – maßgeblich zum Kriegseintritt der USA gedrängt hat. Aber nicht nur er, auch der amerikanische Kongress und der französische Verbündete plädieren für eine harte Haltung gegenüber Deutschland. Der deutschen Regierung wird mitgeteilt, dass Präsident Wilson sich nicht berechtigt fühle, seinen Verbündeten einen Waffenstillstand vorzuschlagen, solange feindliche Mächte auf deren Boden ständen. Der gute Glaube in jedwede Diskussion würde von der Zusage der Mittelmächte abhängen, sofort all ihre Truppen aus den besetzten Gebieten abzuziehen. Außerdem will Wilson wissen, ob Deutschland seine Friedensbedingungen wirklich annehme und ob der neue Kanzler tatsächlich für die Volksmehrheit und nicht nur die bisher regierenden Kräfte spreche.
Das Kabinett trifft sich sofort zu einer Beratung. Eingeladen wird auch Ludendorff, von dem man sich eine konkrete Auskunft erhofft, ob die Front notfalls – wie von Major von dem Bussche erklärt – noch bis zum Frühjahr aushalten könne, wenn die Friedensverhandlungen – vorerst – scheitern. Doch der OHL-Chef lässt sich nicht festnageln. Sein Untergebener Wilhelm Heye dagegen erklärt: „Es kann sein, dass wir bis zum Frühjahr halten. Es kann aber auch jeden Tag eine Wendung kommen.“ Es sei Hasard, nicht möglichst schnell zumindest einen Waffenstillstand herbeizuführen.
Auch für die Bevölkerung ist die Antwort aus Amerika eine kalte Dusche. Die rechte Presse schäumt. Die Reaktionen reichen von einem glatten „Unannehmbar“ bis hin zu martialischen Aufrufen, Deutschland vor drohender Versklavung zu retten. Gemässigtere Blätter hoffen, dass die Gegenseite sich dennoch zu Vorverhandlungen ohne Waffenstillstand bewegen lasse und somit eine Friedenschance gewahrt bliebe. Die den Parteien der neuen Regierung nahestehenden Zeitungen versuchen ihre Leser trotz allem auf Friedenskurs einzuschwören. So schreibt der linksliberale Fränkische Kurier: „Es bricht viel auf einmal über das deutsche Volk herein. Zu groß waren die Illusionen, die man genährt hat, zu spät die Erkenntnis, dass ein Abbau nötig sei. Die Erbschaft, die die neue Regierung des Prinzen Max vorfand, ist böse, wie sich mit jedem Tag mehr erweist. Das deutsche Volk darf aber – und das ist das Beruhigende in all dem Ungemach – heute in dem Vertrauen leben, dass starke und sichere Hände sein Schicksal jetzt in die Hand genommen haben. Sie werden einen Ausweg finden aus dem Labyrinth, in das wir durch die Schuld der Vergangenheit geraten sind. Nur Mut und Vertrauen darf uns nicht verlassen.“ Und Theodor Wolff warnt mal wieder, es müsse sicher gestellt werden, dass die Belastungen nicht am Ende der Demokratie angehängt werden, die Deutschland aus einem blutigen Sumpf holen müsse, in den andere es durch ihre nationalistischen Gebärden, ihre Spielerpolitik und nicht zuletzt durch ihre U-Boot-Phantasien hineinregiert hätten.
Die nationalliberale Berliner Börsen-Zeitung fordert vor eine ehrliche Aussage der militärischen Führung. Alles weitere hänge von der militärischen Widerstandskraft ab, schreibt sie. Sei diese nicht vorhanden, müsse man der Wahrheit ins Auge sehen, auch wenn dies ein für Deutschland unsäglich bitteres Ende dieses Krieges bedeute. „Unser Volk will die Wahrheit. Können wir noch einen besseren Frieden erhoffen, so wollen wir weiter streiten und den letzten Mann zu den Fahnen rufen. Ist das nicht möglich, kann Offenheit nichts mehr schaden.“
Aber genau diese Wahrheit bekommt die Bevölkerung nicht. Die Militärs tun einen Teufel öffentlich Farbe zu bekennen und auch die neue Regierung glaubt, gegenüber den Entente-Mächten bessere Karten zu haben, wenn sie keinen militärischen Offenbarungseid leistet. Also läuft alles auf das Szenario zu, vor dem Wolff sich so sehr fürchtet.
In der ausländischen Presse stößt Wilsons Vorgehen auf Zustimmung. Wenn sichergestellt werde, dass Deutschland tatsächlich friedensbereit sei, dann bestehe Hoffnung. Nur beim einstigen Verbündeten Italien wird vehement gegen einen möglichen Friedensschluss agiert. Man befürchte dort, Wilson könne zu wenig Rücksicht auf die Durchsetzung der italienischen Kriegsziele legen, ätzt der Korrespondent des Berliner Tageblatts. Tatsächlich wird die italienische Enttäuschung, dass sich die hochgesteckten Beutewünsche nicht erfüllt haben, später ein zentraler Punkt von Mussolinis Aufstieg sein.
Eine Kuriosität am Rande: Der deutsche Prinz Friedrich Karl von Hessen, ein Schwager von Kaiser Wilhelm II., wird zum König von Finnland gewählt, das nach der Oktoberrevolution am 6. Dezember 1917 seine Unabhängigkeit von Russland proklamiert hatte. Allerdings entscheiden sich die Finnen nach der deutschen Novemberrevoltion dann ebenfalls für eine republikanische Verfassung und König Fredrik Kaarle muss nach nur zwei Monaten Regentschaft zurücktreten.