Montag, der 12. Mai 1919

Die Nationalversammlung kommt in der Aula der Berliner Universität zu einer Sondersitzung zusammen. Thema sind die Friedensbedingungen und die Empörung überschlägt sich auch bei denen, die die Kautsky-Dokumente kennen. Statt nüchterner Erwägung regiert das markige Wort. „Lieber tot als Sklav!“, tönt der preußische Ministerpräsident Paul Hirsch und sein Pendant auf Reichsebene, Philipp Scheidemann spricht von einem schauerlichen und mörderischen Hexenhammer, „mit dem einem großen Volk das Bekenntnis der eigenen Unwürdigkeit, die Zustimmung zur erbarmungslosen Zerstückelung, das Einverständnis zu Versklavung und Helotentum abgepresst und erpresst werden soll“. Voller Pathos ruft er aus: „Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in diese Fesseln legt.“ Auf Drängen von Zentrums-, und DDP-Fraktion, aber auch vieler SPD-Abgeordneter verwendet er auch das zuvor gemiedene Wort „unannehmbar.“ Andere sprechen von Vergewaltigung und Versklavung und dem offensichtlichen Vernichtungswillen der Kriegsgegner. Gustav Stresemann, der spätere deutsche Außenminister, erklärt: „Was dieser Vertrag aus Deutschland macht, das ist ein zerstückeltes Reich, machtlos, auf ewige Zeit zur Fronarbeit verurteilt, von Fremdvölkern wie von Sklavenhaltern regiert.“ Das ist natürlich eine gröbliche Verzerrung der Tatsachen, da mit Ausnahme des Rheinlandes und des Saarlandes eben keine Besatzung vorgesehen ist, und auch diese zeitlich begrenzt ist, doch in der Empörung über die Bedingungen sind sich alle von rechtsaußen bis hinein in die USPD einig. Ein Unterschied zwischen denen, die vor dem Krieg stramme Militaristen waren und jenen, die die riskante Säbelrassel-Politik stets hart verurteilt haben, ist völlig verwischt.

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