Montag, der 23. Februar 1920

Unterdessen schleppt sich der Erzberger-Helfferich-Prozess weiter. Um große Politik und entsprechende Verfehlungen von nationaler Tragweite geht es dabei nicht, sondern um Geschäfte und Interventionen des umtriebigen Erzbergers aus seiner Zeit als Oppositionspolitiker bzw. Mitarbeiter der Nachrichten- und Propaganda-Abteilung des Auswärtigen Amtes im Krieg. Der Angeklagte Helfferich und sein Anwalt Alsberg nehmen einen Zeugen nach dem anderen ins Kreuzverhör. „Heute noch wie am ersten Tage, hat der Angeklagte die Gewohnheit beibehalten, zeugen zu unterbrechen und Feststellungen, die ins Plädoyer gehören, meist in der From persönlich zugespitzter Bemerkungen mitten in der Beweisaufnahme zu treffen. Es ist dem Vorsitzendenden bis heute nicht gelungen, diese Gewohnheiten des Angeklagten, für die ein Präzendenzfall auch in der Geschichte der politischen Prozesse kaum gefunden werden kann, wenigstens einigermaßen den Regeln des Strafprozesses anzupassen“, analysiert das Berliner Tageblatt. Doch das sich kein rosiges Bild für Minister Erzberger ergibt, hat nicht nur mit dieser „Prozessführung“ des Angeklagten Helfferich zu tun. Tatsächlich scheint Erzberger sich für alles und jeden eingesetzt zu haben und nichts dabei gefunden haben, sich sowohl finanziell wie mit seinem politischen Einfluss für eine Sache zu engagieren. Insgesamt ist das Bild diffus, viele Zeugen erinnern sich nicht mehr, andere machen ihrem Unwillen gegen die Nervensäge Erzberger Luft und bestätigen Helfferich, dass sein Verhalten für einen Politiker höchst ungewöhnlich und ungebührlich gewesen sei, wieder andere sind wütend, wegen lang zurückliegender Petitessen, mit denen sie nur am Rande zu tun hatten, vor Gericht gezerrt zu werden. Das Berliner Tageblatt spricht von breitgetretenem Quark. „Helfferich, der gegenwärtigen ohne Amt ist, hat vielleicht keine bessere Beschäftigung. Aber draußen in der Welt fragt man, von ihm auf Deutschland schließend: habt ir denn nach eurem Zusammenbruch, in eurer Notlage gar nichts anderes zu tun?“ Außerdem, so Theodor Wollf, sei das Ganze eine gewaltige Heuchelei, denn „die Würdenträger des alten Regimes haben an den Tafeln der Großindustriellen und des Großhandels noch ganz anders geschwelgt.“ Selbst Bismarck habe mit Bleichröder Geschäfte gemacht. „Wurde nicht mit Titeln und Orden, die der Monarch zu vergeben hatte, und mit der Aufnahme in hochprotegierte Vereinigungen ein schwungvolles Geschäft gemacht? Jeder wusste: dies und das kosteet so und soviel. Wie fleissig Herr Bassermann, andere wohlgelittene Parlementarier und einflussreiche Kennner der ministeriellen Türe Aufsichtstragstellen gesammelt haben, ist schon gesagt worden und rastlos haben die Konservativen, die ‚treuen Triarier‘, ihren politischen Einfluss aufgeboten, um für sich und ihre Angehörigen tausend Vorteile zu erlangen und ihre Kästen zu füllen.“ Wolff betont allerdings, dass er sich mit dieser Kritik keineswegs auf Matthias Erzbergers Seite schlage. „Sollte das Gesamtbild des Prozessses ergeben, das Erzberger nicht nur, wie manch anderer, die Gelegenheit zu angenehmen Geschäften ausgenutzt, sondern auch sträflichen Missbrauch mit seinem politischen Einfluss getrieben hat, so wird man hoffentlich nicht seine Knie flehend umklammern und ihn nicht beschwören, trotzdem auf seinem Posten auszuharren.“

Für Erzberger kommt es allerdings noch dicker: Die Hamburger Nachrichten und die Kreuzzeitung veröffentlichen seine angeblichen Steuererklärungen, die belegen sollen, dass dieser große Teile seiner Einkünfte nicht versteuert hat. Erzberger veranlasst daraufhin umgehend beim Finanzamt Charlottenburg eine Untersuchung gegen sich selbst, um die Vorwürfe zu entkräften. Außerdem lässt er sich vorübergehend von seinem Ministeramt suspendieren.

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