Montag, der 25. November 1918

In Berlin treffen sich – trotz des immer noch sehr eingeschränkten Bahnverkehrs – Vertreter der einzelnen Landesregierungen zu einer Reichskonferenz. Nur aus Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Weimar und Waldeck schafft es niemand nach Berlin.

Dominiert wird die Konferenz vom bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Der ist gebürtiger Berliner und hat erst einmal die traurige Pflicht, auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee am Begräbnis seiner Mutter Hedwig teilzunehmen, die am 21. November im Alter von 79 Jahren gestorben ist.

Auf der Reichskonferenz sitzt Eisner dann zwischen dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Wilhelm Solf, und Matthias Erzberger. Solf referiert über die Beziehungen zu den Nachbarländern, Erzberger über die Umsetzung der Waffenstillstandsverhandlungen. Beide warnen eindringlich, dass es bei den Kriegsgegnern, vor allem in Frankreich, Bestrebungen geben könnte, sowohl Verzögerungen bei der Umsetzung der Bedingungen, wie auch seperatistische Tendenzen in Deutschland auszunutzen, Teile Deutschlands zu besetzen und das Land zu spalten. Auch kommunistische Tendenzen oder eine Verzögerung von allgemeinen Wahlen könnten den Friedensprozess gefährden, da die Kriegsgegner nicht gewillt seien, mit Bolschewisten oder nicht demokratisch legitimerten Kräften zu verhandeln. Da platzt Eisner der Kragen. Er geht Solf und Erzberger direkt an, bezeichnet sie als kompromittierte Männer des alten Systems und erklärt, ihre Tätigkeit müsse den Frieden zum Scheitern bringen und er könne sie nicht anders als Konterrevolution nennen. Männer wie seien für alle Zeit erledigt und sollten am besten dem Kaiser möglichst schnell nach Holland folgen, wenn sie nicht wegen Landes- und Volksverrat angeklagt werden wollten. Die folgenden Redner nehmen die Gescholtenen mehrheitlich in Schutz. Ebert erklärt: „Wir mussten, nachdem wir die politische Macht in die Hand genommen hatten, dafür Sorge tragen, dass diese Maschine weiterläuft, um unsere Ernährung und Wirtschaft aufrechterhalten zu können. Und das war kein leichtes Stück Arbeit.“ Deshalb seien auch keinerlei Entlassungen vorgenommen worden. „Hätten wir die erfahrenen bisherigen Leiter der Reichsämter entfernt, hätten wir diese Stellen besetzen müssen mit Leuten, denen die erforderliche Kenntnis und Erfahrung fehlt, dann wären wir in einigen Tagen am Ende gewesen.“ Die Mehrheit der Delegierten will vor allem möglichst schnelle Wahlen. Nur wenige wie der USPD-ler Richard Lipinski (Sachsen) und der Kommunist Otto Geithner (Gotha) votieren dafür, erst Sozialisierungen vorzunehmen.

Dem schließt sich aber nicht einmal Eisner an. „Sollen wir die Produktion übernehmen, wo sie nahe an dem Abgrund steht?“, fragt er auf einer Sitzung des Berliner Vollzugsrat, die er im Anschluß aufsucht. Im Moment breche die kapitalistische Gesellschaft zusammen, diesen Zusammenbruch gelte es erst abzuwarten. Wahlen soll es jedoch so schnell nicht geben. „Die Nationalversammlung kann und darf erst dann einberufen werden, wenn die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte sich so sehr entwickelt haben, dass alles von dem neuen Geist erfüllt ist.“

 

Theodor Wolff greift in seinem traditionellem ausführlichem Montagskommentar, „lundi“ genannt, die Loslösungsbestrebungen der deutschen Länder von Preußen auf. „Wenn nicht bald gründlich Wandel geschaffen wird, bleiben wir mit unseren leeren Proviantspeichern, mit der Spartacus-Gruppe und den sonstigen Annehmlichkeiten allein.“ Die Regierung jedoch nimmt er ausdrücklich in Schutz. „Es ist ungerecht, wenn draußen mancher es so darstellt, als trage die Regierung alle Schuld. Die Regierung hat den besten Willen, die meisten ihrer Mitglieder sind kluge und einsichtige Männer, ihre Erlasse sind vernünftig und sie müht und sorgt sich redlich ab.“ Frühere Regierungen, die es wesentlich leichter hatten, hätten erheblich weniger gearbeitet und sich weniger um das Allgemeinwohl gesorgt. Doch damit die Bemühungen von Ebert und Haase Erfolg hätten, brauche es schleunigst die Nationalversammlung und einen Präliminarfrieden mit den Alliierten.

 

Die Versorgungslage bleibt weiter kritisch. In Berlin ist der Kohlenvorrat auf eine Reserve geschrumpft, die nur noch für 14 Tage reicht. Nachschub ungewiss. In mehreren Gruben in Oberschlesien und im Rheinland wird gestreikt. Der Kohlenverband verfügt deshalb, dass die Straßenbeleuchtung, die sowieso nur 30 Prozent der Friedensbeleuchtung beträgt, weiter vermindert werden soll. Ab 22:30 ist Polizeistunde. In der Industrie wird der Arbeitstag auf fünf Stunden beschränkt. Alle Läden sollen um 17 Uhr schließen, Theater und Kinos ihr Programm früher beginnen. Warmes Wasser gibt es Montag bis Freitag nur noch von 13 bis 21 Uhr, Samstag von 13 bis 22 Uhr und Sonn- und Feiertags von 8 bis 16 Uhr. In dieser Zeit allerdings muss es verfügbar sein. Eigenmächtigen, weit umfangreicheren Einschränkungen durch die Hausbesitzer wird damit ein Riegel vorgeschoben.

Positive Nachrichten gibt es von der Reichsbekleidungsstelle, die eine Liste von Waren erstellt, die es künftig ohne Bezugsscheine geben soll. In den Zeitungen werben wieder erste Anzeigen für „Die schönsten Erzeugnisse der Herbstmode“, etwa Jackenkleider für 185 Mark.

 

Ein großes Problem ist jedoch die Unterschlagung von Lebensmitteln. Der „Enkeltrick“ von damals: Angebliche Mitglieder der Arbeiter- und Soldatenräte erscheinen mit gefälschten Ausweisen und Armbinden in Geschäften oder bei Privatleuten und beschlagnahmen Lebensmittel, Lebensmittelkarten und andere Wertgegenstände. Immer wieder berichten die Zeitungen aber auch von großen Coups. So ist es einem Eisenbahnangestellten in Berlin gelungen, der den Inhalt von sieben Eisenbahnwaggons – Lebensmittel, Schokolade, Wein und Tabak im Wert von einer halben Million Mark – in eine private Spedition bringen zu lassen, wo er die Waren auf eigene Rechnung verkaufte. Allerdings nahm das Geschäft einen Umfang an, der bald auffiel. Am Stettiner Bahnhof dagegen werden vom Arbeiter- und Soldatenrat drei Waggons beschlagnahmt, mit denen angeblich türkische Offiziere illegal Waren in die Türkei bringen wollten.

 

Außerdem endet der Krieg endlich auch in Afrika. In Mbala (damals Abercorn) im heutigen Sambia legt der letzte deutsche Heerführer Paul von Lettow-Vorbeck die Waffen nieder. Erste Gerüchte über einen Waffenstillstand hatten Lettow-Vorbeck schon am 13. November über einen britischen Gefangenen erreicht, aber weil er der Sache nicht traute, hat er erstmal weitergekämpft. Eigentlich hatte Afrika in einem europäischem Krieg überhaupt nicht zum Schlachtfeld werden sollen. Das hatten die Kolonialmächte 1885 auf der Kongokonferenz vereinbart. Doch bereits am 6. August 1914 versenkte ein in Daressalam, damals der Hauptstadt von Deutsch-Ostafrika, stationiertes Kriegsschiff einen britischen Dampfer und zwei Tage später begannen die Briten die Stadt zu beschießen. Doch Lettow-Vorbeck konnte auf Dauer mit seiner kleinen, vor allem aus einheimischen Kämpfern (Askaris) bestehenden Truppe die Provinz nicht verteidigen. Ab 1916 verlegte er sich auf einen Guerilla-Krieg und griff zum Beispiel die britische Uganda-Bahn an. Vermutlich hat sich der General so einige seiner Taktiken von den Herero und Nama abgeschaut, die sich zwischen 1904 und 1908 in Deutsch-Südwestafrika auf diese Weise gegen die überlegenen deutschen Truppen zu wehren versuchten. Als Adjutant von Befehlshaber Lothar von Trotha war Lettow-Vorbeck damals unmittelbar an dem Völkermord beteiligt. Im Ersten Weltkrieg kostete sein Versuch, möglichst viele britische Truppen in Afrika zu binden, 100.000 bis 300.000 Menschen das Leben. Da aber auch die Briten vor allem mit Askaris kämpften, waren nur wenige Prozent der Opfer Europäer und der Kampf in Afrika keinerlei Entlastung für die europäische Front, sondern auch militärtaktisch komplett sinnlos. Während die Opferzahl in Afrika nach dem Krieg durch eine Hungersnot und die durch Soldaten eingeschleppte Spanische Grippe auf geschätzte 700.000 steigen wird, wird Lettow-Vorbeck auch bei den einstigen britischen Kriegsgegnern Popularität genießen, die Weimarer Republik bekämpfen und sich sowohl von den Nationalsozialisten, wie auch in der Bundesrepublik als tapferer „Löwe von Afrika“ feiern lassen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.