Montag, der 7. April 1919

In München – im Schlafzimmer der ehemaligen bayerischen Königin – hat in der Nacht der Zentralrat der bayerischen Arbeiterräte getagt. In einem Aufruf wird der Landtag – „als unfruchtbares Gebilde des überwundenen bürgerlich-kapitalistischen Zeitalters“ – für aufgelöst und die Regierung Hoffmann für abgesetzt erklärt. Stattdessen ruft man die baierische Räterepublik aus und lehnt jede Zusammenarbeit „mit der verächtlichen Regierung Ebert-Scheidemann-Noske-Erzberger“ in Berlin ab. (Baierisch um sich vom Bayern der Wittelsbacher abzusetzen, die das y im Landesnamen erst 1825 eingeführt hatten). Johannes Hoffmann und die anderen Regierungsmitglieder fliehen nach Bamberg, lassen aber Flugblätter über München abwerfen, in denen sie auf ihrem Regierungsanspruch beharren.

 

In München aber konstituiert sich ein zwölfköpfiges Gremium der Volksbeauftragten, eine bunte Mischung aus ehrenwerten Idealisten und wirren Weltverbesseren, etwa dem Schriftsteller Gustav Landauer und dem Anarchisten Silvio Gesell. Neuer Vorsitzender des Zentralrats wird der Schriftsteller Ernst Toller, der durch den Ersten Weltkrieg zum Pazifisten wurde. Thomas Mann nennt den „Schwabinger Kunst-Einschlag“ der neuen Regierung sehr komisch. Im übrigen Deutschland wird sie vorwiegend als bolschewistisch empfunden, obwohl sich die bayerische KPD unter Leitung von Eugen Leviné geweigert hat, an dieser „Scheinräterepublik“ teilzunehmen.

 

Toller und die Volksbeauftragten geben sich in der Folge alle Mühe, auch volksnah zu sein, was sich unter anderem dadurch äußert, dass jeder sich direkt mit seinen Anliegen an die neue Regierung wenden kann. „In den Vorzimmern des Zentralrats drängten sich die Menschen“, erinnert sich Toller später, „jeder glaubte, die Räterepublik sei geschaffen, um seine privaten Wünsche zu erfüllen … Verkannte Lebensreformer bieten ihre Programme zur Sanierung der Menschheit an.“ Während viele Dekrete, etwa die Beschlagnahmung freier Wohnung und ihre Zuweisung an Bedürftige, durchaus auf breite Zustimmung stoßen, sind andere wie die Entwaffnung des Bürgertums und die Zensur eindeutig klassenkämpferisch. F

Für besondere Unruhe sorgen Silvio Gesell, der als Volksbeauftragter für das Finanzwesen mit der „systemlosen Papiergeldwirtschaft“ aufräumen und dafür das sogenannte Freigeld einführen, das mit der Zeit seinen Wert verliert, so dass Horten und Zinswirtschaft sich nicht lohnen, und der neue „Außenminister“ Dr. Franz Lipp von der USPD, der die diplomatischen Beziehungen zu Preußen abbricht und die übrige Welt mit überspannten, wirren Depeschen eindeckt. Die neue Münchner Regierung wird in Berlin jedoch selbstverständlich nicht anerkannt und hat auch in Bayern nur in Oberbayern und Schwaben einen stärkeren Rückhalt, auch wenn sich in den meisten größeren Städten Räteregierungen bilden (mit Ausnahme von Bamberg, Nürnberg und Erlangen).

 

Die Berliner Regierung ernennt Carl Severing, einen SPD-Abgeordneten und Journalisten, zum Staatskommissar für das Ruhrgebiet. Er agiert mit Zuckerbrot und Peitsche. Streikführer werden verhaftet, Arbeitswillige mit Sonderrationen belohnt. Bei ökonomischen Beschwerden zeigt er Entgegenkommen, bei politischen Forderungen dagegen nicht. 

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