Dienstag, der 8. April 1919

Während es im ganzen Land brennt, diskutiert der Reichstag über Historisches, den Kriegsausbruch im Sommer 1914. Im Auftrag der Regierung hat nämlich der SPD-Theoretiker Karl Kautsky seit November die wichtigsten Akten zusammengestellt. Das Ergebnis ist ein Schock: Entgegen der landläufigen Meinung hat die damalige deutsche Regierung sich keineswegs bemüht, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln und den Frieden zu erhalten, sondern im Gegenteil, Österreich zu einem schnellen, scharfen Vorgehen gegen Serbien aufgefordert, wohl wissend, dass Russland für diesen Fall ein militärisches Eingreifen in den Konflikt angedroht hat. Letztendlich aber hat die deutsche Regierung dann gar nicht abgewartet, ob Russland wirklich Serbien beispringt und Frankreich wiederum Russland, sondern gezwungen durch den einzigen deutschen Aufmarschplan, den Schlieffenplan, selber den Krieg mit einem Einmarsch in Belgien eröffnet. Wie soll man mit diesem hochbrisanten Material umgehen? Reichsverkehrsminister Johannes Bell vom Zentrum warnt nachdrücklich vor einer Veröffentlichung. Das Material sei geeignet, Deutschland einseitig zu belasten und die einstigen Kriegsgegner zu besonders harten Friedensbedingungen veranlassen. Der SPD-Minister Eduard David dagegen plädiert für eine schonungslose Veröffentlichung. Nur durch „völlige Klarheit und Wahrheit“ auch in der Kriegsschuldfrage könne man den Bruch mit dem alten System glaubhaft machen. Am Ende folgt das Kabinett der Empfehlung von Ministerpräsident Scheidemann und sieht von einer Veröffentlichung „zur Zeit“ ab.

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