Christa Pöppelmann > November 1918 > Samstag, der 10. Januar 1920
Samstag, der 10. Januar 1920
Im französischen Außenministerium unterzeichnet die deutsche Delegation am Nachmittag das Protokoll mit den Forderungen der Allierten vom 1. November 1919 und anschließend zusammen mit den Vertretern von Frankreich, England und Italien im Uhrensaal das feierliche Schlussprotokoll. Damit tritt der Frieden nun wirklich in Kraft. Kaum dass die Unterschrift unter das Protokoll gesetzt ist, erklärt Clemenceau den Mitgliedern der deutschen Delegation: „Ich habe die Ehre, ihnen mitzuteilen, dass noch heute abend der Befehl zur Heimsendung der deutschen Gefangenen unterschrieben wird.
Außerdem nehmen Deutschland und die Alliierten mit Beginn des Friedens wieder normale diplomatische Beziehungen auf. Gleichzeitig werden die Hohe Komission für die besetzten rheinischen Gebiete, die Wiedergutmachungskomission und die interalliierten Überwachungsausschüsse ihre Tätigkeit aufnehmen.
Der US-Kongress hat seine Zustimmung verweigert. Für Deutschland ändert sich dadurch nichts. Die USA lassen sich alle ihre Ansprüche aus dem Vertrag separat garantieren. Doch die Vereinigten Staaten werden nicht Mitglied des von ihrem Präsidenten angeregten Völkerbundes, was diesen empfindlich schwächt. Außerdem werden die Sicherheitsgarantien, die Großbritannien und die USA Frankreich gegen eine etwaige erneute deutsche Aggression gegeben haben, nicht wirksam. Das trägt dazu bei, dass Frankreich in den folgenden Jahren akribisch auf der Einhaltung der Versailler Bedingungen besteht, um Deutschland möglichst schwach und ungefährlich zu halten.
Mit dem Inkrafttreten des Friedensvertrages wird auch die Frage nach der Auslieferung von Ex-Kaiser Wilhelm und anderen, von der Entetente der Kriegsverbrechen bezichtigten Personen wieder aktuell. Der ehemalige Volksbeauftragte Otto Landsberg appelliert in einem offenen Brief im Vorwärts an die Alliierten, auf solche Auslieferungen verzichten. Sie würden damit nur den Reaktionären in die Hände spielen und Märtyrer schaffen. Der pazifistische Bund Neues Vaterland erklärt in einer Resolution. Deutschland dürfe sich nicht gegen eine Auslieferung sperren, es läge aber im allgemeinen Interesse, dass neutrale Richter bestellt würden. Der sozialdemokratische Theoretiker Eduard Bernstein jedoch befürchtet, dass auch ein neutrales Gericht von großen Kreisen des deutschen Volkes nicht anerkannt werden würde. Zwar hätte die Aktensammlung Kautskys, die „meiner Meinung nach in allen Schulen an Stelle der bisherigen verlogenen Literatur verteilt werden müsste“, gezeigt, welch beträchtliche Schuld Wilhelm II. „und in viel höherem Maße, als die Welt weiß“ auch der östereichische Kaiser Franz Josef am Kriegsausbruch hätten, doch noch sei der Tag nicht gekommen, an dem das deutsche Volk mit denen ins Gericht gehen wird, die es in den Abgrund gezogen haben. „Leider sehen wir im Gegenteil, dass noch viel zu viele zu entschuldigen suchen, was geschehen ist.“
Auch Theodor Wolff meint, da es bisher jede deutsche Regierung versäumt habe, mutmaßliche Kriegsverbrecher von sich aus vor Gericht zu stellen, könne sie nun Auslieferungen, die sie vertraglich zugesagt habe, nicht gut verwehren. Es bleibe nun nur, „die gesittteten, gebildeten und einsichtigen Menschen in der Welt draußen davon zu überzeugen, dass das Auslieferungsverlangen zugleich ein brutaler Verstoß gegen alle Rechtsbegriffe und eine grenzenlose Dummheit ist. Er führt die Prozesse gegen Marloh und Hiller an, die – trotz der zu milden Urteile – zu allgemeiner Empörung über das Treiben der Angeklagten geführt hätten. Würden aber Angeklagte ausgeliefert, würde „der Deutschnationalismus all diese Leute wie Symbole des Vaterlandes im Triumph herumtragen“, auch wenn sie für die Rolle des Nationalhelden nicht geeigneter seien als Marloh und Hiller. Wolff hofft auch, dass Holland den Ex-Kaiser nicht ausliefern wird und nutzt die Gelegentheit, einmal mehr durch eine eingehende Bestandsaufnahme der hanebüchenen privaten Vorkriegs-Bündnispolitik des Kaissers zu beweisen, dass Wilhelm II. kein Verbrecher war, aber, „ein ganz unpolitischer Dilettant, dem das Gleichgewicht mangelte, und der seine Briefkünste für Staatskunst hielt.“