Samstag, der 18. Oktober 1919

Alfred Lansburgh, laut Berliner Tageblatt „einer der schärfsten Denker des Geldwesen“ hat dem Reichsfinanzministerium unaufgefordert ein Gutachten vorgelegt, in dem er Inflation aufgrund einer übermässigen und willkürlichen Geldschöpfung als Ursache für den Wertverfall der Währung benennt und eine Devalvation (Abwertung) fordert. Wirtschaftsjournalist Felix Pinner lobt diese Erkenntnis im Berliner Tageblatt in höchsten Tönen, da bisher allgemein davon ausgegangen wird, dass vor allem das krasse Missverhältnis zwischen großer Nachfrage und mangelndem Angebot für die immer stärker werdende Teuerung verantwortlich sei. Allerdings glaubt Pinner, dass die wirtschaftliche Lage inzwischen so verzwickt sei, dass auch eine Abwertung nur Erfolg bringe, wenn gleichzeitig das Verhältnis von Angebot und Nachfrage ins Lot gebracht werden könne.

 

Ein anderer Mitarbeiter des Tageblatts, Erich Dombrowski, ist in Süddeutschland unterwegs. Auch dort sehe man den Winter mit Sorge entgegen und die Kohlennot drücke sowohl auf das ganze Wirtschafts- wie Verkehrsleben. Um 21 Uhr schließen die Theater und die Straßenbahn hört auf zu fahren, um zehn Uhr ist fast überall Polizeistunde. In den Hotels werde nur zögerlich geheizt und zum Teil gebe es Aufenthaltsbeschränkungen von nur ein oder zwei Tage oder polizeilich versiegelte Fremdenzimmer, um „lästige Mitesser“ abzuhalten. Die Zwangsbewirtschaftung bestehe auf dem Papier weiter, habe faktisch aber aufgehört, stattdessen blühe der Schwarzhandel in „noch nicht dagewesenem Grad“. Die Behörden würden dem nicht Herr, gerade in Baden wo die Schweiz und Elsass-Lothrigen nahe seien, obwohl teilweise die Züge nach jeder Station nach Hamsterwaren durchsucht würden. Die Erbitterung der Bevölkerung sei sehr groß und bringe eine politische Radikalisierung sowohl nach rechts wie nach links mit sich. „Von rechts her wird mit dem Antisemitismus gearbeitet. Allerhand antisemitische Winkelblättchen sind entstanden. Straßenverkäufer bieten sie einem immer wieder aufdringlich an und tut man einen Blick hinein, so begegnet man der widerlichsten Spekulation auf die niedrigsten menschlichen Instinkte.“

 

Ähnliche Töne sind aber auch im feinen Kaisersaal de Weinhaus Rheingold in Berlin zu hören. Dort hat am Vorabend ein „deutschnationales Konzert“ stattgefunden, zu dem auch Erich Ludendorff kam und gefeiert wurde. Anschließend redet der rechtsradikale Pfarrer Johann Rump und macht „den jüdischen Geist, der in manchen christlichen Häusern gewaltet hat“ für die politischen Entwiklungen verantwortlich und zieht dann über die „Verräter“ Erzberger und Scheidemann her. Und Max von Baden, prophezeit er, werde „von der Geschichte unerbittlich verflucht werden… weil er das deutsche Volk belogen und 22 Fürsten um Krone und Thron gebracht hat.“ Und General Groener habe mit seinem Schießverbot verhindert, dass die Revolution dahin gebracht worden sei, wo sie hin gehöre, nämlich ins Zuchthaus Moabit.

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