Samstag, der 26. Oktober 1918

Deutschland wird Demokratie! Am Ende seiner fünftägigen Sitzung nimmt der Reichstag gegen heftigen Protest von rechts die neue Verfassung an. Sie schreibt fest, dass der Kanzler künftig vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit abhängig ist. Um etwaige Proteste des Bundesrats zu umgehen, hat man getrickst. Der Antrag wird nicht von der Regierung, sondern von den Parteien des Interfraktionellen Ausschusses eingebracht, was bedeutet, dass der Bundesrat nicht eingeschaltet werden muss. Nachdem die Reform aber vom Parlament mit großer Mehrheit abgesegnet wurde, stimmen zwei Tage später auch Bundesrat und Kaiser zu.

 

Parallel dazu geht die Ludendorff-Affäre in ihre letzte Runde. Am Morgen wird der OHL-Chef ins Schloss Bellevue zitiert, um seine Entlassung durch den Kaiser entgegenzunehmen. Nach Aussage von Verbindungsoffizier Haeften war Ludendorff aufs Äußerste betroffen, als er die Nachricht bekam, rang nach Atem und zitterte am ganzen Körper. Die erwartete Rückendeckung durch Hindenburg bleibt aus. Als Ludendorff erfährt, dass sein nomineller Vorgesetzter, den Bitten des Kaisers, im Amt zu bleiben, nachgekommen ist, kommt es zum Zerwürfnis. Ludendorff wirft Hindenburg vor, ihn im Stich gelassen zu haben, verlässt Schloss Bellevue alleine und fährt zu seiner Frau. Er wolle mit dem Generalfeldmarschall nichts mehr zu tun haben, erklärt er Vertrauten später. Auch die Bitte von Prinz Max, der ihm für seine Verdienste in der Vergangenheit danken lässt, sich noch einmal zu einem persönlichem Gespräch zu treffen, lehnt er ab und fährt noch am Abend zurück nach Spa, um dort seine Angelegenheiten zu regeln. Denn entgegen der Tradition übernimmt er auch keine andere leitende Aufgabe, obwohl ihm der Kaiser die Führung einer der Heeresgruppen angeboten hat.

Theodor Wolff allerdings gibt sich nicht mit einem Nachruf zufrieden. Ihm machen die Machenschaften des Ludendorff-Lagers weiterhin Sorgen: „Die Kriegsmacherpresse fährt fort, die Verfassungsänderungen zu verwünschen, und klagt, laut oder in Halbtönen, über den Rücktritt Ludendorffs. Wenn man sie liest, könnte man glauben, das Vaterland seit jetzt erst, seit gestern, in Gefahr. Diese Leute zeigen auch jetzt wieder ihre patriotische Eigenart. Sie erzählen der Welt, den Gegnern, dass diese deutsche Armee nun zerstört, der Widerstandsgeist gebrochen sei, weil man das Heer in den Rahmen des Staates eingefügt und einen hervorragenden General, der sich zuviel mit Politik beschäftigte, zum Rücktritt bewogen hat.“ Der wie meist bestens informierte Wolff weist deshalb noch einmal darauf hin, dass das Waffenstillstandsgebot auf den ausdrücklichen und dringlichen Wunsch Ludendorffs erfolgt sei.

Im Ausland wird die Demission Ludendorffs größtenteils als positives Signal gewertet. Nur der französische Matin erklärt seinen Lesern, Ludendorff sei von den deutschen Militaristen um Hindenburg gechasst worden, weil er das Waffenstillstandsgesuch initiiert habe.

 

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