Sonntag, der 12. Januar 1919

Gegen 1:15 Uhr wird als letzte größere Bastion der Aufständischen das Polizeipräsidium am Alexanderplatz gestürmt, die Besetzer, soweit sie nicht fliehen konnten, verhaftet. Wieder gibt es Misshandlungen und Erschießungen.

 

Im Vorwärts wird die Rückeroberung der Redaktion geschildert. Detailliert werden alle Verwüstungen durch die Besetzer aufgeführt, von den Lynchmorden an den Parlamentären erfahren die Leser nichts. Dafür behauptet ein anderer Artikel „Spartakus mordet Gefangene!“ Neun oder zehn regierungstreue Soldaten sollen demnach nach ihrer Gefangennahme gelyncht worden sein. In den „Letzten Nachrichten“ ist dann noch eine Erklärung von Oberst Reinhard zu finden, der erklärt, es seien keine Gefangene aus dem Vorwärts erschossen worden, lediglich einige der Besetzer mit der Waffe in der Hand gefallen.

Die Freiheit dagegen beginnt mit den Worten: „Der Terror herrscht in Berlin. Offiziere, Studenten, aufgeputschte Bourgeois-Söhne haben in Berlin ein Willkürregiment errichtet, wie es niemals erlebt worden ist. Die Methoden des alten zaristischen Regimes sind durch eine verbrecherische und wahnsinnige Regierung in Berlin zum Leben erweckt worden. Offiziere dringen bewaffnet in die Wohnungen friedlicher Bürger ein, nehmen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen vor, ohne sich um die bestehenden Gesetze irgendwie zu kümmern. Alles, was unter dem verschärften Belagerungszustand an Härte und Unmenschlichkeit geschehen ist, verblasst hinter den Rohheiten und Grausamkeiten dieser Tage, in denen angeblich eine demokratische und sozialistische Regierung am Ruder ist.“ Auf diese Einleitung folgt jedoch keineswegs eine flammende Anklage gegen die Mörder aus der Dragonerkaserne, sondern die Information, dass Georg Ledebour, immerhin Vorsitzender des Revolutionsrates, nachts um eins in seiner Wohnung verhaftet wurde, ohne dass man bisher weiß, wo er ist. Erst auf Seite 3 findet sich ein Bericht des Vollzugsrates, der vier Delegierte, zwei von der USPD und zwei der SPD, in die Kasernen geschickt hat, um sich über das Schicksal der Gefangenen zu informieren. In der Dragoner-Kaserne seien immer noch 295, teils verletzte Männer und Frauen, in einem Stall zusammengepfercht. „Die Offiziere gaben zu, dass durch die Wut der Soldaten bei der Einlieferung sieben Gefangene auf dem Kasernenhofe erschossen worden seien“, heißt es dann recht lapidar.

Eindruck macht das natürlich nicht. Selbst wenn die Information prominenter und geschickter präsentiert worden wäre, hätte die Linke verbal nicht mehr nachlegen können. Denn den Vorwurf an die Regierung, „Mörder“ und „Schlächter“ zu sein, hat sie schon zuvor so oft erhoben, dass er quasi schon abgenutzt ist, bevor er zutrifft. Wer nie dagewesenen Terror beschwört, weil der Anführer eines Aufstandes verhaftet wird (Ledebour passiert nichts, er wird vor Gericht gestellt, aber freigesprochen), dem fehlen die angemessenen Worte, um Lynchmorde zu geißeln. Es hat fast den Eindruck, als wäre man gar nicht wirklich entsetzt über die Tat, weil sie ja nur eine Bestätigung dessen scheint, was man schon immer gesagt hat. Außerdem glaubt nach all den Hassfluten, Aufbauschungen, Gerüchten und Fake News der vergangenen Tage sowieso keiner mehr dem anderen. Es braucht kein Twitter und Facebook, auch Zeitungen und Flugblätter reichen, damit jede Partei in ihrer Blase lebt und nur dem glaubt, was sie hören möchte.

So gehen die Morde in der Dragoner-Kaserne in der Flut der Ereignisse und in der aufgeheizten Atmosphäre unter. Auch heute stehen sie im Schatten der Morde an den Polit-Promis Luxemburg und Liebknecht. Dabei sind sie der eigentliche „Sündenfall“ der Regierung. Was passiert ist, ist kein Geheimnis. Man hätte die Verantwortlichen für das Massaker zur Verantwortung ziehen können – mit Hilfe der OHL. Denn auch die oberste militärische Instanz hätte es sich nicht erlauben können, Kriegsverbrechen, wenn sie deutlich so benannt und nachgewiesen worden wären, zu rechtfertigen. Man hätte das Militär zwingen können, sich von ihrem rechtsextremen, zu allem bereiten rechten Flügel zumindest offiziell, zumindest ein Stück weit zu trennen, ohne die Kooperation als solche in Frage zu stellen. Doch in dem Bestreben, ihr Recht zu verteidigen, militärisch gegen einen bewaffneten Aufstand vorgehen zu dürfen, rechtfertigt die Regierung alles, was geschehen ist, gleich mit. Die Opfer des Aufstandes, auch die der Untat in der Dragoner-Kaserne, heißt es, seien selbst schuld an ihrem Schicksal. Den Angehörigen wird das teils auch direkt so gesagt.

 

Während in Berlin der Höhepunkt der Unruhen vorüber ist, finden im Süden der Republik Landtagswahlen statt. Dabei bestätigt sich der Trend zur „Mitte“. Ein Großteil der Menschen will nur Ruhe und Frieden und erteilt sowohl dem rechten wie dem linken Rand eine Absage. Stärkste Kraft in Württemberg wird die SPD mit 35,5 Prozent (52 Sitze). Auf den „Plätzen“ folgen die Deutsche Demokratische Partei mit 25 Prozent (38 Sitze) und das Zentrum mit 20,8 Prozent (31 Sitze). Abgeschlagen sind die rechte Bürgerpartei (die Landespartei der Deutschnationalen Volkspartei) mit 7,4 Prozent (11 Sitze) und der Württembergische Bauernbund mit 5,8 Prozent (10 Sitze). Die USPD bekommt nur 3,1 Prozent (4 Sitze, einer davon geht an Clara Zetkin) und landet damit fast auf einer Stufe mit dem Kleinbauern- und Weingärtnerbund, der 2,7 Prozent der Stimme, aber ebenfalls 4 Mandate, erhält.

In Bayern siegt die vom Zentrum abgespaltene Bayerische Volksaprtei mit 34,9 Prozent der Stimmen (66 Sitze) knapp vor der SPD mit 32,9 Prozent (61 Sitze). Auf dem dritten Platz liegen die Linksliberalen mit 14 Prozent (25 Sitze) vor dem Bayerischen Bauernbund mit 9,1 Prozent (16 Sitze) und den Nationalliberalen mit 5,7 Prozent (9 Sitze). Für die mitregierende USPD von Ministerpräsident Eisner sieht es noch finster aus als in Württemberg. Sie bekommt nur 2,53 Prozent der Stimmen (3 Mandate).

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