Sonntag, der 29. Dezember 1918

In Berlin werden sechs der toten Matrosen und ein erschossener Arbeiter zu Grabe getragen. Das Ganze wird wieder zu einer Demonstration der Linken, bei der Matrosenführer Otto Tost, Liebknecht, Ledebour und Barth sprechen und demonstrativ antispartakistische Flugblätter der Regierung und der anderen Parteien verbrannt werden. Daneben nehmen auch viele Abordnungen von Regimentern teil, auch solche, die ihre Loyalität zur Regierung erklärt haben, wie die Republikanische Soldatenwehr und die „Franzer“.

 

Die 56 toten Soldaten des Kommandos Lequis dagegen spielen in der Öffentlichkeit keine Rolle. Überhaupt vermeidet die Regierung, die den Einsatz gegen die Matrosen letztlich befohlen hat, jegliche Positionierung ihnen gegenüber. Weder wird die Bombardierung des Schlosses als überzogene Aktion kritisiert, noch wird den Soldaten ihr Einsatz gedankt. Stattdessen werden sie einfach wieder weggeschickt. In diesem Fall sind sie der Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat. Die Linke befriedigt das nicht, das Militär aber radikalisiert sich.

Viele der Soldaten haben einfach genug und kehren dem Militär den Rücken zu. Auch die Truppen, die am 24. Dezember eingesetzt wurden, haben sich teilweise selbst aufgelöst. Andere dagegen empfinden die Niederlage vom Weihnachtstag als weit schmachvoller als alles, was sie im Krieg erlebt hatten. Diejenigen, die weiter kämpfen wollen, schließen sich nun vermehrt zu Freikorps zusammen, und die OHL, die sich ebenso wie die Regierung fragt, ob sie noch über nenneswerte, reguläre, verlässliche Truppen verfügt, fördert ihre Bildung. Einer der Führer dieser Bewegung wird Waldemar Pabst, der die Weihnachtskämpfe als Befehlshaber der Garde-Kavallerie-Schützen-Division mitgemacht hat. Zwar ist er nur Erster Generalstabsoffizier, aber da der eigentliche Kommandant Heinrich von Hofmann schwer herzkrank ist, liegt die Verantwortung für diesen vielleicht noch stärksten Verband im deutschen Heer in seiner Verantwortung. Unter seiner Verantwortung wird die Division zu einem Sammelbecken rechtsradikaler Kräfte.

Kommandant Lequis möchte als Lehre aus der „Blutweihnacht“, die Soldaten künftig in Polizeimethoden wie dem Auflösen großer Menschenansammlungen und dem Operieren im Stadtgebiet schulen lassen. Doch er wird für die „Niederlage“ verantwortlich gemacht und entlassen. Sein Nachfolger wird General Walther von Lüttwitz. Der zieht die Konsequenz, in Zukunft noch rücksichtloser vorzugehen, keine Rücksicht auf Zivilisten mehr zu nehmen und angesichts potentiell feindseliger Menschenmengen am besten gleich schießen zu lassen.

 

An dem Trauerzug für die toten Matrosen nehmen etwa 20.000 bis 30.000 Menschen teil. Aber etwa 400.000 folgen einem Aufruf der SPD für die Regierung zu demonstrieren. Und auch die Linksliberalen rufen ihre Anhänger auf die Straße und etwa 50.000 bis 1000.000 folgen dem Aufruf. Damit habe sich zum ersten Mal seit der Revolution von 1848 eine nichtsozialistische Partei auf der Straße gezeigt, resümiert Theodor Wolff. „Die Deutsche Demokratische Partei hat die Spießbürgerfurcht und die Vorurteile der Schlafrockpolitiker abgschüttelt, von allen Seiten her sah man ihre langen geordneten Züge zum gemeinsamen Zeil marschieren und ihre schwarz-rot-goldenen Fahnen wehen. Männer, Frauen und Mädchen, ‚Bürger‘, Arbeiter, Soldaten und Handwerker gingen in ihren Reihen. Diese Vermischung und Verwischung der Stände war das Schönste in ihrem gestrigen Erfolge.“ Am Brandenburger Tor und Unter den Linden begegnet man auch den Zügen der Sozialdemokraten und wechselt Verbrüderungsrufe.

 

Die SPD-Regierung erfährt also für den Moment trotz, oder vielleicht auch gerade wegen ihres harten Vorgehens gegen die radikale Linke starke Unterstützung. Viele hoffen, dass das Regieren nun nach dem Ausscheiden der USPD-Mitglieder einfacher und effektiver wird. Anstelle der Gegangenen rücken Gustav Noske und Rudolf Wissell nach, ein Gewerkschaftsfunktionär, der auch am Zustandekommen des Stinnes-Legien-Bakommens beteiligt gewesen ist. Noske soll für Heer und Marine zuständig sein, Wissell für Sozial- und Wirtschaftspolitik. Ursprünglich war auch noch der Breslauer SPD-Politiker Paul Löbe vorgesehen, der jedoch erklärte, er habe in seinem Wahlbezirk genug zu tun. „Besonders von Noske erwartet man sehr viel“, schreibt Theodor Wolff im Berliner Tageblatt. „Er hat in Kiel gleich nach dem Ausbruch der Matrosenrevolution umsichtig eingegriffen und dort als Gouverneur alles, was wirr und regellos schien, mit klugen Takt in gerade Bahnen gelenkt.“

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