Montag, der 30. Dezember 1918

Im Festsaal des Preußischen Abgeordnetenhauses treffen sich 127 Delegierte der Spartakisten und andere enttäuschte Linke aus dem ganzen Bundesgebiet zu einer Reichskonferenz. Rosa Luxemburg trägt das von ihr ausgearbeitete Programm für die neue Kommunistische Partei vor. Es wird bis auf wenige kleine Änderungen angenommen. „Nun, Genossen, … wir sind wieder bei Marx, unter seinem Banner“, konstatiert sie befriedigt. Bewacht wird die Versammlung von der Volksmarinedivision.

 

Eine zentrale Frage ist, ob die neue Partei im Januar an den Nationalwahlen teilnehmen soll. Rosa Luxemburg und Paul Levi, ihr früherer Anwalt und zeitweiliger Lebensgefährte, werben leidenschaftlich dafür. Die Nationalversammlung werde nun mal kommen und müsse als Bühne genutzt werden. Die Frauenrechtlerin Käte Duncker warnt, noch habe man nicht die Majorität des Volkes hinter sich, nicht einmal in Berlin und wenn man nicht teilnehme verliere man auch noch die Frauen. Auch Liebknecht plädiert für eine Teilnahme an den Wahlen, um dann die Arbeit des Parlaments zu stören und antiparlamentarisch zu agieren.

Doch sie stehen jungen Heißspornen gegenüber, die die Nationalversammlung am liebsten mit Maschinengewehren auseinanderjagen wollen. Ihr Sprachrohr ist Liebknechts einstiger Unterstützter bei der Ablehnung der Kriegskredite, Otto Rühle, inzwischen Sprecher der Dresdner Internationalen Kommunisten. „Wir müssen die lebende Politik der Straße immer weiter aufstacheln“, fordert er. „Wir dürfen die Bewegung nicht wieder einlullen, indem wir dem Arbeiter einen Stimmzettel in die Hand geben.“ Der Antrag der Berliner Spartakisten, an den Wahlen teilzunehmen, wird schließlich mit 62 zu 23 Stimmen abgelehnt, obwohl im gestern beschlossenen Parteiprogramm festgeschrieben ist, dass die Partei die Regierung nie ohne klaren mehrheitlichen Volkswillen übernehmen wird. Desillusioniert prophezeit Rosa Luxemburg: „Genossen, ihr macht euch euren Radikalismus etwas sehr bequem.“ Doch mit ihren Mahnungen, man müsse sich darauf einstellen, dass der Revolutionsprozess langwieriger ausfalle, als man sich das gegenwärtig vorstelle, erntet sie wenig Beifall. Stattdessen jubeln ihr die Delegierten zu, als sie die Führer der Gewerkschaften und der SPD als die „infamsten und größten Halunken“ bezeichnet.

Gegenüber ihrer alten Freundin und Mitstreiterin Clara Zetkin, die ob des Votums gegen die Teilnahme an den Wahlen höchst bestürzt ist, wiegelt sie jedoch wenig später ab. Dies sei nur der Triumph eines etwas kindischen, unausgegorenen und geradlinigen Radikalismus. Die Spartakisten seien eben eine frische Generation, „frei von den verblödenden Traditionen der ‚alten, bewährten‘ Partei“, und das müsse man mit seinen Licht- und Schattenseiten nehmen.

 

Die Revolutionären Obleute allerdings schließen sich der neugegründeten Partei nicht an, da ihnen der gewünschte Einfluss verweigert wird. Neben einer paritätischen Besetzung der Gremien haben sie gefordert, dass „die willkürliche Auslösung von Streiks und Straßenkämpfen“ aufhören muss.

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