Christa Pöppelmann > November 1918 > Sonntag, der 4. April 1920
Sonntag, der 4. April 1920
Dank des warmen Wetters blühen trotz des frühen Ostertermins die Osterglocken, dazu Schneeglöckchen, Märzenbecher, Krokus und Blausternchen und viele Sträucher. Berlins Gartendirektor Albert Brodersen bittet eindringlich, die Blumen in den Parkanlagen auch dort stehen zu lassen. Ihm sei bewusst, dass viele der „Blumendiebe“ diese nicht etwa pflückten, um sich am Verkauf zu bereichern, sondern etwa, um das Grab Gefallener zu schmücken oder Rückkehrern aus der Gefangenschaft eine Freude zu machen. „Leider sind die Parkflächen und die Parkmittel zu gering, um das Abpflücken von Blüten ghestatten und zu können, und daher muss ich bitten, die Parkpflanzen zu schützen, damit viele sich an deren Schönheit erfreuen können. … Mögen die ‚grünen Ostern‘ ein Zeichen dafür sein, dass in nicht zu ferner Zeit das deutsche Volk, durch Sonnenstrahlen erhellt und geweckt, wieder aufblühen wird.“
Der liberale Abgeordnete Ludwig Haas dagegen sieht so einiges Ungutes wachsen. Im Berliner Tageblatt fordert er stärkeres Durchgreifen des Staates an den Universitäten: „Darüber kann kein Zweifel sein, dass jetzt eine deutsche Außenpolitik nur geführt werden kann im Geiste der Gedanken der Völkerverständigung. Wenn der Staat erkennt, dass in völlig einseitiger Weise auf die Jugend eingewirkt wird, dass sie unfähig gemacht wird für die Lösung unserer nationalen Zukunftsaufgaben, dass die Jugend erzogen wird zu Feinden des demokratischen Staates, dann ist es Pflicht des Staates, dafür zu sorgen, dass auch die Bekenner der modernen Staatsgedanken vor der Jugend zu Worte kommen. Keine Richtung soll unterdrückt werden: aber der Staat darf nicht zulassen, dass schließlich an seinen eigenen Hochschulen die sozialistische und demokratische Anschauung überhaupt nicht mehr gehört werden.“ Außerdem würden die Studentenschaften immer mehr das Berufungsrecht des Staates in Frage stellen und Dozenten angreifen, deren politische Einstellung ihnen nicht genehm ist. „Es ist sonderbar, wenn gerade die reaktionären Elemente der Studentenschaft an den Universitäten eine Art Soldatenratswirtschaft einführen wollen. Nicht die Jugend, sondern der Staat hat darüber zu entscheiden, wer als Lehrer zu berufen ist. … Die Jugend soll selber Stellung nehmen; aber sie muss gleichzeitig den Wunsch haben, Einblick zu gewinnen in alle Bewegungen, die im Volke vorhanden sind. … Wird, um nur ein Beispiel zu nennen, später ein brauchbarer Verwaltungsbeamter sein, der von Verachtung gegen die sozialistische Arbeiterschaft erfüllt ist, der die Arbeiterschaft und ihr Denken überhaupt nicht versteht? Der bornierte Standesdünkel, der vermeintlich vornehme Korporationsgeist und der Traum, dass wieder einmal eine bevorechtigte Herrenschicht geschaffen werden könnte, verdirbt die Jugend für ihre Zukunftsaufgaben.“ Haas fordert auch gegen die Vetternwirtschaft vorzugehen – „Wir können uns den Luxus nicht gestatten, wertvolle wissenschaftliche Kräfte brach liegen zu lassen, nur damit der Vetter, der Schwiegersohn oder der Verbindungsbruder versorgt wird“ – und auch den Aufstieg von Menschen ohne akademische Bildung zu den höchsten Stufen zu ermöglichen.