Sonntag, der 8. Dezember 1918

Sowohl die SPD wie USPD und Spartakus-Bund haben in Berlin zu Massenversammlungen aufgerufen. Über der ganzen Stadt liegt eine nervöse Spannung. Viele Zeitungen, selbst solche in der fernen Provinz, ergehen sich in düsteren Spekulationen, was der Tag wohl bringen mag. Noch weit Schlimmeres als am Freitag erscheint denkbar. Die 13 SPD-Versammlungen sind teils so überfüllt, das spontane Paralellveranstaltungen organisiert werden. Danach strömen etwa 20.000 Teilnehmer trotz ständigem Nieselregens zum Lustgarten, wo Ebert jegliche Gewalt verurteilt, namentlich aber nur Liebknecht nennt. Möglicherweise ist es ein Glück, dass an diesem Sonntag das Wetter so schlecht ist. Als Liebknecht, Luxemburg und andere Spartakisten drei Stunden später im Treptower Park sprichen, gießt es inzwischen in Strömen und nur 4500 Anhänger haben sich versammelt. Wieder unterstellt Liebknecht Ebert, er habe das Ganze inszeniert, um sich zum Präsidenten ausrufen zu lassen. Er warnt auch vor der „weißen Leibgarde“ des „Konsortium Ebert-Scheidemann-Wels“ und ruft das Proletariat auf, sie zu entwaffen und die Arbeiter zu bewaffnen. Anschließend ziehen seine Anhänger, wieder demonstrativ schwer armiert, in die Innenstadt. Doch es bleibt bei markigen Worten. Zusammenstöße zwischen den verfeindeten linken Gruppen gibt es nicht.

 

Das Problem: Die von Liebknecht angeführte „weiße Leibgarde“ ist im Gegensatz zur Urheberschaft der Regierung am Putsch keine Verschwörungstheorie. Es gibt sie wirklich. Der OHL sind die Soldatenräte weiterhin ein Dorn im Auge und ihr Chef Groener möchte sie – obwohl sie fast geschlossen für demokratische Wahlen sind – vor dem Reichsrätekongress, der am 16. Dezember beginnen soll, entmachten. Da er selber in Kassel residiert, wo die OHL inzwischen ihren Hauptsitz hat, hat er Generalleutnant Arnold Lequis, einen Offizier, der vor dem Krieg vor allem in den Kolonien stationiert war und unter anderem am Herero-Krieg teilgenommen hat, das Generalkommando über alle regulären Truppen in Berlin übertragen. Lequis und sein Stabschef Bodo von Harbou haben daraufhin beschlossen, zehn als zuverlässig geltende Divisionen nach Berlin kommen zu lassen. Sie sollen zwischen dem 10. und 15. Dezember nach und nach in die Hauptstadt einziehen, die wichtigsten Gebäude besetzen und die Macht übernehmen. „Zunächst hat es sich darum gehandelt“, wird Groener später zugeben, „in Berlin die Gewalt den Arbeiter- und Soldatenräten zu entreißen … Die Entwaffnung Berlins, die Säuberung von Spartakiden … Das war alles vorgesehen.“ Wie die Putschisten vom Nikolaustag will auch er Ebert – dem Hindenburg bescheinigt, als „treuer deutscher Mann“ sein Vaterland über alles zu lieben – nicht stürzen. Statt dessen soll er „erst richtig in den Sattel gehoben werden“.

 

Die Regierung ist in diese Pläne genauso wenig eingeweiht, wie in die der Verschwörer vom 6. Dezember. Doch sie stimmt dem Einmarsch der Gardetruppen zu und duldet die Etablierung des unabhängigen, nicht mehr politisch kontrollierten „Generalkommandos Lequis.“ Damit verhilft sie der OHL wieder ein bestimmender – ebenfalls nicht kontrollierter – Faktor der deutschen Politik zu werden.

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