Mittwoch, der 16. Oktober 1918

Die deutsche Öffentlichkeit erfährt den Inhalt der zweiten Lansing-Note. Während das rechte Lager mit einem „Wir haben es doch gleich gesagt“ reagiert und konstatiert, dass nun nichts anderes übrig bliebe, als den Kampf fortzusetzen, ist die amerikanische Antwort für die Anhänger des Friedensgesuchs eine kalte Dusche. Theodor Wolff erklärt, dadurch habe sich der Friedensgedanke nach rückwärts bewegt. Schlimmer noch als die enthaltenden Forderungen sei der Geist der Note, denn es sei der Geist des Machtwillens und der Gewalt, der nicht zu Wilsons schönen Worten über Recht, Versöhnung und Völkerglück passe. Wie viele seiner Kollegen mutmaßt er, dass offenbar die militärischen Kreise Frankreichs und Englands, die eine Fortsetzung der Schlacht wünschten, Präsident Wilson beeinflusst hätten. Aber bei keinem Sieg, auch nicht dem deutschen über Frankreich 1871 wären die Modalitäten von Rückzug und Waffenstillstand nur von einer Seite bestimmt worden. Außerdem fordert Wolff Wilson auf, in seiner Empörung über das unsagbare Elend, das der Krieg den Menschen beschere, nicht einseitig zu sein. Es gäbe genügend Berichte der neutralen Presse über die rücksichtslose Bombardierung westdeutscher Städte durch die Entente-Mächte und das dadurch verursachte Elend der fliehenden Bewohner, dass „auch diejenigen, die nicht gläubig allen heimatlichen Tugendliedern lauschen und die sich klar darüber sind, dass neben dem militärischen Geist der militaristische existiert“, sich nicht einreden lassen, auf der anderen Seite ständen lauter Gerechte. Immerhin habe Deutschland durch sein Friedensgesuch „Entsagung“ gezeigt, „aber wie steht es mit denjenigen, die … in entfesselter Triumphlust es dahin treiben, dass noch Tausende am Wege verschmachten, noch Hunderttausende auf der bluttriefenden Erde fallen?“ Selbst der Vorwärts warnt, dass der Friedenswille des deutschen Volkes einen Umschwung erfahren könne, wenn die Gegenseite den Bogen überspanne. Auch in den neutralen Ländern wie Holland, der Schweiz oder Dänemark herrschen Enttäuschung und Besorgnis über die Bedingungen, die als nur schwer annehmbar angesehen werden. Die englischen und französischen Blätter dagegen äußern sich überwiegend sehr zufrieden.

 

Währenddessen meldet der Admiralstab unverdrossen täglich „Neue U-Boot-Erfolge“, die von den Zeitungen abgedruckt werden. 41.000 Bruttoregistertonnen Handelsschiffraum sind diesmal vernichtet worden. Auch UB 123, das sechs Tage zuvor die Leinster versenkt hat, beschädigt im Norden Schottlands noch mal einen amerikanischen Tanker. Zwei Tage später läuft es nordöstlich der Orkney-Inseln auf eine Mine und explodiert mit 35 Mann Besatzung an Bord.

 

Im Inneren jedoch werden die Weichen Richtung Frieden gestellt. Ein kaiserliches Dekret verfügt, dass die Obermilitärbefehlshaber, die aufgrund des fortdauernden Belagerungszustands noch im Amt sind, nun für ihre Anordnungen und Entscheidungen die Zustimmung des Reichskanzlers brauchen.

 

Auch bei Deutschlands einstigem Verbündeten trifft Karl I., Kaiser von Österreich und König von Ungarn, Vorbereitungen, für eine Neuordnung seines Reiches. In einem Völkermanifest ruft er die Nationen der österreichischen Reichshälfte auf, Nationalräte zu wählen und den Umbau des Kaiserreichs in einen Bundesstaat mit weitgehender Autonomie für die einzelnen Nationen einzuleiten. Die nichtdeutschen Nationen machen jedoch schnell klar, dass sie diese Einladung nicht annehmen möchten, sondern eigene Nationalstaaten planen.

 

In Karlsruhe stirbt Oskar Erzberger, der Sohn des Zentrum-Führers. Der 17jährige, der gerade seine Offiziersausbildung macht, erliegt der Spanischen Grippe. Die verheerende Krankheit, der in diesem Jahr Millionen von Menschen zum Opfer fallen, wurde vermutlich von US-Soldaten nach Europa gebracht. Völlig atypisch befällt sie gerade junge, gut genährte Menschen, mit Vorliebe auf engem Raum kasernierte Soldaten. Die Erkrankten sterben manchmal innerhalb von wenigen Stunden an einer von starken Blutungen begleiteten Lungenentzündung. Bei Überlebenden bleiben oft lebenslange neurologische Störungen zurück. Über den Ursprung herrschen wilde Theorien. Viele Amerikaner glauben, dass deutsche Agenten die Seuche in den USA freigesetzt haben. In Deutschland hatte es bislang nur ein kurzes Aufflammen im Sommer gegeben, doch seit etwa zwei Wochen breitet sich die Seuche rapide aus.

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