Christa Pöppelmann > November 1918 > Freitag, der 6. Dezember 1918
Freitag, der 6. Dezember 1918
Es wird im Jahr 1918 noch Weihnachtsunruhen geben, die in keiner größeren Darstellung über die Zeit zwischen Weltkrieg und Weimarer Republik fehlen. Weniger bekannt ist der Putschversuch vom Nikolaustag. Doch er ist wichtig, um die weitere Stimmung zu verstehen. Denn er veränderte die Stimmung in Berlin sehr.
Er beginnt damit, dass gegen 16:30 Uhr schwer bewaffnete, mit Maschinengewehren und Flammernwerfern ausgerüstete Soldaten des Kaiser Franz Garde-Grenadier-Regiments in das Preußische Abgeordnetenhaus eindringen, wo der Berliner Vollzugsrat seinen Sitz hat. Die Soldaten richten Gewehre und aufgepflanzte Bajonette auf die Ratsmitglieder an und erklären sie im Namen der Regierung Ebert-Haase für verhaftet. Draußen stehen Lastwagen bereit, mit denen die Verhafteten in das Gefängnis Moabit geschafft werden sollen. Die Ratsmitglieder verlangen schriftliche Legitimationen zu sehen, was die Soldaten bereits in erste Verwirrung stürzt. Dann taucht auch noch Regierungsmitglied Emil Barth auf. Obwohl Barth sich mit einem – vermutlich vorgetäuschtem – Nervenleiden jedem Kriegsdienst entzogen hat, brüllt er die Soldaten in bestem Kommandoton zusammen: „Stillgestanden, wenn zu Ihnen im Dienst ein Mitglied der Regierung tritt“ und „Wissen Sie, dass Sie hier Hochverrat begehen, dass ich Sie mit Ihren ganzen Leuten an die Wand stellen kann?“ Eingeschüchtert brechen die Gemaßregelten ihren Putschversuch ab.
Paralell dazu marschieren Truppen vor der Reichskanzlei auf. Ein Feldwebel Spiro mit weiteren „Franzern“ und etwa 500 Matrosen der Volksmarinedivision, geführt von Oberleutnant Hermann Graf Wolff-Metternich. Sie haben es auf Ebert abgesehen. Allerdings wollen sie ihn nicht verhaften, sondern zum Präsidenten Deutschlands ausrufen. Der SPD-Chef soll künftig alleine regieren, ohne den lästigen Vollzugsrat, trägt ihm Spiro an.
Friedrich Ebert bringt nicht die Schneidigkeit von Emil Barth auf. Er stottert verlegen herum, dass er einen solchen Schritt nicht annehmen könne, ohne sich mit seinen Freunden aus der Regierung beraten zu haben. Überhaupt müsse man noch Geduld bis zum Reichsrätekongress haben. Aber er verspricht, möglichst schnell für die Einberufung einer Nationalversammlung zu sorgen. Die klägliche Figur, die er macht, wird Ebert später viel Kritik einbringen, doch sie reicht, um den Putschisten klar zu machen, dass sie auch hier keinen Erfolg hatten. Feldwebel Spiro besetzt dann noch mit rund 200 Soldaten die Redaktion der Roten Fahne, wieder angeblich im Namen des Soldatenrates und des „Präsidenten Ebert“. Aber auch das wird irgendwann folgenlos abgebrochen.
Philipp Scheidemann spricht später von einem „tollen Spuk.“ Vielleicht wäre der gescheiterte Putsch das wirklich geblieben, wenn nicht am gleichen Nachmittag drei linke Versammlungen stattgefunden hätten.
Sowohl in den Germania-Prachtsälen in der Chaussee-Straße wie in den keine zwei Kilometer entfernten Sophiensälen und den Andreas-Festsälen tagen bunte Haufen von Soldaten, Kriegsbeschädigten und Arbeitslosen mit dem Ziel, Soldatenräte für die Deserteure und „Versprengten“ zu wählen – ein Ansinnen, das vom etablierten Berliner Soldatenrat entschieden zurückgewiesen worden ist. Die Teilnehmer hatten von Polizeipräsident Emil Eichhorn die Erlaubnis erhalten, anschließend unbewaffnet auf der Straße zu demonstrieren. Als jedoch der Zug aus den Germaniasälen zur Kreuzung Chausseestraße/Invalidenstraße kommt, wird er von einer Gruppe bewaffneter Gardefüsiliere gestoppt und zur westlichen Invalidenstraße hin abgedrängt. Doch die Protestierter finden mit den Demonstranten aus den Sophiensälen zusammen. Als sie gemeinsam wenig später über die südliche Chausseestraße wieder auf die Soldaten zukommen, eröffnen diese das Feuer. Innerhalb von wenigen Minuten fallen an der belebten Kreuzung rund 500 Schüsse. 16 Menschen sterben im Maschinengewehrhagel, darunter das 17 Jahre alte Lehrmädchen Gertrud Komrowski, das in einer Straßenbahn gesessen hatte, die in das Feuer geriet. Andere Opfer hatten einfach an der Haltestelle auf die Bahn gewartet. Es kommt zu einer unvorstellbaren Panik. Einige Menschen stürzen sich in kopfloser Angst in die Schaufensterscheiben eines Kaufhauses und tragen schwere Schnittwunden davon. Wer kann, flüchtet in Hausflure. Der Fahrer eines Möbeltransportes kommt mit einem Streifschuss davon, sein Pferd wird von mehreren Kugeln getroffen.